Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

338 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
wolle. Trotzdem wurden die teuer erkauften realen Gewerbegerechtigkeiten 
nicht aufgehoben; jede Zunft verfolgte nach wie vor die Arbeit der Pfuscher, 
die Bortenmacher und die Posamentierer lebten noch immer in ewigem 
Grenzstreite, und wer das Glück hatte in den streng geschlossenen kleinen 
Kreis der bürgerlichen Essenkehrermeister Münchens hineinzuheiraten, war 
aller irdischen Sorgen ledig. Die Reform blieb Stückwerk und erregte nur 
den Groll der Handwerker. Von der Erlaubnis zu selbständigem Ge— 
werbebetriebe hing aber in den Städten das Recht der Eheschließung ab; 
da nun überdies auf dem Lande die Grundherren befugt waren jede 
Heirat zu untersagen und die Unteilbarkeit der Bauernhöfe die Ver— 
sorgung der jüngeren Söhne erschwerte, so geschah es, daß dies derb— 
sinnliche, doch keineswegs unsittliche Volk sich durch die Masse seiner un— 
ehelichen Kinder vor allen Völkern Europas traurig auszeichnete. In 
Niederbayern kam fast ein Viertel aller Kinder außer der Ehe zur Welt. 
In der Pfalz dagegen blieb die Zahl der unehelichen Geburten fast dreimal 
geringer, denn hier bestand die soziale Freiheit der französischen Gesetz— 
gebung und das harte, aber heilsame Verbot der Vaterschaftsklage. 
Für die Lebenszeit des Königs glaubte Montgelas der Herrschaft 
sicher zu sein. Die große Mehrzahl des Beamtentums war von dem 
Geiste des napoleonischen Despotismus durchdrungen, und in der Haupt— 
stadt bestanden nur zwei starke Parteien, beide gleich undeutsch, beide 
gleich partikularistisch: hier die Klerikalen, die unter Max Joseph nie— 
mals ans Ruder gelangen konnten, dort die Anhänger des aufgeklärten 
Ministers. Die kleine Kolonie von norddeutschen und schwäbischen Ge— 
lehrten, welche in München noch fast allein die politischen Ideale des Be— 
freiungskrieges festhielt, besaß keinen Einfluß und durfte den Minister 
nicht offen bekämpfen, da er ihr doch einen Rückhalt bot gegen den 
Fremdenhaß der fanatischen Altbayern; einer der Besten aus diesem Kreise, 
der Philolog Jacobs war schon wieder nach Thüringen heimgezogen, der 
feinfühlende Mann konnte es nicht ertragen beständig geschmäht zu werden 
als ein nordischer, im bayrischen Kanaan gemästeter Bettler. Stärker war 
die Unzufriedenheit in Franken; hier zitterte die Begeisterung der Kriegs- 
jahre noch lange nach, die Gemeinden grollten über den Verlust ihrer 
selbständigen Verwaltung, und eine pathetische Schrift des Bambergers 
Hornthal, die an den Art. 13 der Bundesakte erinnerte, fand lebhaften 
Anklang. Doch auch diese Opposition schien ungefährlich. Voll Zuver- 
sicht sangen die unbekehrten Rheinbündler in Aretins Alemannia noch 
immer das Lob des großen Ministers unter wütenden Schimpfreden 
gegen die Deutsch-Michelei, den Borussismus und die Anglomanie. Als 
in Franken der Jahrestag der Leipziger Schlacht gefeiert wurde, erzählten 
diese Alemannen in einem Festberichte: die schöne Feier habe mit einer 
Tierschau geendet und der beste Ochse sei mit dem Orden des eisernen 
Kreuzes geschmückt worden.
	        
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