Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Bayerns Erbansprüche. 361 
deutsche Fürstenrecht so reich ist; die Thronbesteigung des Sohnes einer 
unebenbürtigen Mutter war in den größeren deutschen Fürstenhäusern 
immer nur als ein seltener Ausnahmefall vorgekommen, und obgleich 
sowohl die Zähringer als die Wittelsbacher selbst Frauen vom niederen 
Adel zu ihren Stammüttern zählten, so ergriff doch das bayrische Kabinett 
begierig den willkommenen Vorwand und ließ an allen Höfen versichern, 
von einem Erbfolgerechte der Hochberge könne nicht die Rede sein. Die 
Hofburg schenkte der dreisten Beteuerung willig Glauben; alle die ge- 
heimen Verträge über den Rückfall der Pfalz beruhten auf der Voraus- 
setzung des bevorstehenden Aussterbens der Zähringer. 
Für diesen Fall hielten die bayrischen Kronjuristen noch einen zweiten, 
ebenso erstaunlichen Rechtsanspruch bereit. Die Grasschaft Sponheim an 
der Nahe hatte einst durch vier Jahrhunderte den Häusern Pfalz und 
Baden gemeinsam gehört, und nach dem Beinheimer Entscheide vom Jahre 
1425 sollte beim Erlöschen des einen Hauses die gesamte Grasschaft an 
das überlebende Geschlecht fallen. Unzweifelhaft war der alte Erbvertrag 
längst erloschen, da beide Besitzer die Grafschaft im Luneviller Frieden an 
Frankreich abgetreten und für ihren Verlust fünffache Entschädigung er- 
halten hatten. Gleichwohl verlangte Bayern jetzt nochmals Entschädigung 
für den Fall, daß der letzte Nachkomme aus der ersten Ehe Karl Friedrichs 
stürbe. Der erloschene Erbanspruch auf Sponheim sollte dem bayrischen 
Kronprinzen die ersehnte „Wiege" seiner VBäter, das Heidelberger Schloß 
nebst Mannheim und dem herrlichen Lobdengau zurückbringen: welch ein 
Ersatz für das arme Ländchen auf dem Hunsrücken, für ein Gebiet von 
23,000 Einwohnern! Es war ein Gewebe schlechter Advokatenkünste, das 
noch einmal zeigte, wie gründlich die rheinbündische Politik alle Scham 
und alles Rechtsgefühl an den kleinen Höfen verwüstet hatte. 
Die Lage des Karlsruher Hofs ward mit jedem Tage unheimlicher. 
Noch schwächer als zuvor war der Großherzog vom Wiener Kongresse 
heimgekehrt. Er betrachtete seinen Neffen, den Kronprinzen von Bayern 
als seinen geschworenen Feind und scherzte bitter: das sei doch unerhört, 
daß ein erwachsener Mann sich so lebhaft nach seiner Wiege sehne. In 
Augenblicken krankhafter Erregung argwöhnte er sogar, daß ihm die 
Bayern in Wien Gift unter die Speisen gemischt hätten. Im Jahre 
1812 hatte er seinen Erbprinzen bald nach der Geburt verloren; da ward 
ihm im Mai 1816 wieder ein Erbe geboren, aber auch dieser Sohn 
starb nach Jahresfrist plötzlich dahin. Finstere Gerüchte durchschwirr- 
ten die Stadt: warum mußte der Tod gerade die beiden Söhne des Fürsten 
treffen, während die Prinzessinnen sämtlich am Leben blieben? konnten 
die rastlosen Wittelsbachischen Erbschleicher nicht auch hier die Hand im 
Spiele haben? Der bayrische Gesandte beförderte selber den törichten 
Verdacht, da er mit schadenfrohem Behagen das Unglück überall be- 
sprach und bedeutsam hinzufügte, an solchen Heimsuchungen erkenne man
	        
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