Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Vertagung der Verfassung. 363 
Aber auch diesmal gelangte man zu keiner Entscheidung. Während der 
ehrlich konstitutionelle Marschall dringend riet, die unzufriedene Ritter— 
schaft durch die Bildung einer ersten Kammer zu versöhnen, sprachen sich 
die bonapartistischen Beamten, die geheimen Gegner der Verfassung, ent— 
schieden für das Einkammersystem aus, weil sie den Adel als den ge— 
borenen Feind des grünen Tisches beargwöhnten, und der doktrinäre 
Adelshaß des preußischen Geschäftsträgers arbeitete ihnen vielgeschäftig in 
die Hände. Gänzlich unberufen, ohne in Berlin auch nur anzufragen, 
erteilte Varnhagen dem Karlsruher Hofe seine Ratschläge, die allesamt 
mit dem unfehlbaren Vernunftrechte seines Freundes Rotteck merkwürdig 
übereinstimmten. „Eine Adelskammer wird nur allzu leicht dem Throne 
auf Kosten des Volks gefährlich. Wer führte in Württemberg zuerst 
eine wahrhaft aufrührerische Sprache?“ Will man durchaus eine erste 
Kammer, so berufe man Menner, die durch ihr Alter oder ihr Amt aus- 
gezeichnet sind. Diese Sätze, so schloß er mit der ganzen Selbstgefällig- 
keit des jungen Liberalismus, sind „triviale Wahrheiten, von denen die 
Nachwelt nicht wird begreifen können, wie so nicht alles darin überein- 
stimmte.““) 
Uber diesen und anderen Streitigkeiten verging wieder eine geraume 
Zeit, bis es den Gegnern der Reform endlich gelang den unentschlossenen 
Fürsten zu einem neuen Aufschube zu bereden. Am 29. Juli, gerade in 
dem Augenblicke da jedermann die versprochene Einberufung des Land- 
tags erwartete, wurde das Land durch ein Reskript überrascht, das die 
Verkündigung der Konstitution für jetzt vertagte; erst müsse der Bundes- 
tag die leitenden Grundsätze für die deutschen Landesverfassungen aufstellen. 
Und dies aus dem Munde desselben Fürsten, der sich mit den Verfassungs- 
plänen nur darum befaßt hatte, weil er seine Souveränität gegen die 
Eingriffe des Bundes sichern wollte! Allgemein war die Enttäuschung, 
die Entrüstung. Die Torheit der unbedachten Versprechungen bestrafte 
sich hier, wo so viel Grund zum Klagen vorlag, noch härter als in 
Preußen. Eine giftige Schmähschrift „Gemälde des Großherzogtums 
Baden“ verhöhnte den schlemmenden Minister Hacke, der das ganze Land 
in Spanferkel und Spargel verwandeln wolle. Dazu die Not des Hunger- 
jahres, der wachsende Steuerdruck, und im Oberlande lauter Unwille, als 
plötzlich bekannt wurde, daß die Regierung aus Rücksichten der Sparsam- 
keit die Freiburger Universität mit der Heidelberger zu vereinigen gedenke. 
Alle Breisgauer verwünschten diesen Plan als einen Eingriff in ihr altes 
Landesrecht; Rotteck nahm sich seiner Landsleute kräftig an, er wußte 
wohl, daß seine josephinische Gesinnung in der protestantischen Luft der 
Pfalz auf die Dauer nicht gedeihen konnte. Diesem erbitterten Wider- 
spruche fühlte sich die Regierung nicht gewachsen; sie gab den unglücklichen 
  
*) Varnhagen an Berstett, 8. Mai 1816.
	        
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