378 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
Leibeigenschaftsgefälle aufgehoben und die Grundherren dafür entschädigt
worden, eine Denkmünze erinnerte noch an diese befreiende Tat des
Hauses Nassau; und jetzt trat der Herzog, der willenlos seinem herrischen
Minister folgte, plötzlich mit dem Verlangen hervor: die Landeskasse solle
ihm 140,000 Fl. jährlich bezahlen für die längst aufgehobenen Leibeigen—
schaftsgefälle des Kammerguts, das er sich soeben erst durch einen Macht—
spruch angeeignet hatte! Der Freiherr vom Stein, der von seinem Schlosse
Nassau an der Lahn dies Treiben aus der Nähe betrachten konnte, fand
kaum Worte genug um seine Verachtung auszudrücken: „die Zeit wird
kommen, wo dieser Frevel bestraft wird und die Vorsehung ein strenges Ge—
richt über die Frevler hält; ich habe daran nicht den mindesten Zweifel.“
Im März 1818 wurde der Landtag endlich einberufen, und er be—
gann sogleich mit einem Auftritt, der die ganze Armseligkeit dieses Be—
amtentums an den Tag brachte: mit der Ausschließung Steins. Als
preußischer Untertan konnte der Freiherr den Eid, welcher den Mit—
gliedern der ersten Kammer abverlangt wurde, nicht ohne Vorbehalt
leisten; die Regierung aber rührte keine Hand um durch ein geringfügiges
Zugeständnis dies Formbedenken zu beseitigen, sie ließ es geschehen, daß
der erste Mann des Landes aus der Kammer ausschied. Was hätte er
auch hier leisten können, in dem widerlichen Gezänk um die Domänen
und den unersättlichen Geldbeutel des Landesvaters? Die Stände folgten
bald dem Beispiel der Altwürttemberger und verbissen sich in einen un—
fruchtbaren Rechtsstreit; wie jene setzten sie Unrecht gegen Unrecht, indem
sie alle Domänen für Staatsgut erklären wollten. So währte es noch
fast zwanzig Jahre, bis der Landtag dem Herzog einen Teil seiner Geld—
forderung bewilligte; die Rechtsfrage aber ist niemals, so lange dies Herzog-
tum bestand, vollständig erledigt worden. Inzwischen regierte Marschall
nach seiner alten Weise wohlgemut weiter und entschied alles was ihm
beliebte durch Verordnungen; bis zum Jahre 1848 wurden dem Landtage
nur sechs einigermaßen wichtige Gesetze vorgelegt. Gleichwohl blickte der
Nassauer im Hochgefühle seiner konstitutionellen Freiheit mitleidig auf die
preußische Knechtschaft hernieder. —
Später als die übrigen süddeutschen Territorien gelangte Hessen—
Darmstadt zum Abschluß seiner Verfassung, das künstlichste unter den
Staatsgebilden des Rheinbundes. Das buntgemischte Nassauer Land bildete
immerhin ein zusammenhängendes Gebiet; die Landschaften aber, welche
jetzt den Namen des Großherzogtums Hessen und bei Rhein empfingen,
lagen in zwei größeren und einer nur wenigen Eingeweihten bekannten
Anzahl kleiner Stücke zerstreut vom württembergischen Neckartale bis
hinein ins westfälische Gebirge. Zumal in der Frankfurter Gegend,
wo das Großherzogtum mit vier anderen Staaten zusammenstieß, ent—
faltete sich eine reiche Mannigfaltigkeit abenteuerlicher Grenzlinien, welche
der Bundesstadt die Gunst aller Strolche Mitteldeutschlands verschaffte;