388 II. 7. Die Burschenschaft.
den Begründer der ars tornaria, den Erwecker der Jugend, den Retter deut-
scher Sprache, den anderen Martin Luther. Friedrich Thiersch widmete ihm
seine Ausgabe des Pindar und schilderte in einem schwungvollen Vorwort,
wie die Gymnastik bei den Hellenen und den Deutschen mit allen idealen
Bestrebungen der Menschheit verschwistert sei; und doch erinnerten leider
die stämmigen Gestalten der Vorturner von der Hasenhaide weit öfter an
die Gladiatorenbilder aus den Thermen des Caracalla als an die lorbeer-
geschmückten Sieger von Olympia.
Wenn geistreiche Gelehrte den handfesten Priegnitzer Bauer so seltsam
überschätzten, wie hätten die Jünglinge ihn nicht vergöttern sollen? Alles
ahmten sie ihm nach, am gelehrigsten seine Untugenden: die barbarische
Sprache, die Grobheit und Unfläterei. Seine Lust an kräftigen, volks-
tümlichen Redewendungen wurde bald zur Manier, da ihm jede Selbst-
kritik fehlte; die jungen Turner und die wütenden Franzosenfeinde der
Berliner „Gesellschaft für deutsche Sprache“ überboten noch die Tor-
heiten des Meisters, veranstalteten unter dem Vorwande der Sprach-
reinigung eine gewerbmäßige Jagd auf alle Fremdwörter, nannten die
Universitäten Vernunftturnplätze, sprachen im Konzertsaal vom Einklangs-
wettstreite des Klangwerks, von den Tiefknüppeln und Tiefgeigen und ge-
langten also zu einem schwülstigen Kauderwelsch, das ebenso undeutsch
und um vieles geistloser war als die mit ausländischen Brocken gespickte
Sprache des siebzehnten Jahrhunderts. Jahns Sitten aber blieben noch
immer ebenso ungeschlacht wie einst in den Tagen seiner akademischen
Heldentaten, da er seinen Gegner Kuhfladen ins Gesicht warf und sich
am Abhange des Giebichensteins in einer Höhle verschanzte um auf die
anstürmenden Hallenser Landsmannschafter Felsblöcke herabzuschleudern.
Die Jugend verwilderte unter der Führung eines Banausen, dem die
Kunst und das Altertum, die ganze Welt des Schönen verschlossen blieb.
Mit Mut und Rüstigkeit war das neue Deutschtum überreich gesegnet;
aber andere nicht minder deutsche Tugenden, die Bescheidenheit, der wissen-
schaftliche Sinn, der entsagende Fleiß, die Ehrfurcht vor dem Alter
und dem Gesetze gerieten in Mißachtung. Der sittenpredigende Eifer
steht keinem wohl an, im Munde unreifer Burschen klang er ebenso ab-
geschmackt wie das Prahlen mit der Keuschheit, die doch nur Wert hat,
wenn sie schamhaft und verschwiegen bleibt. Alle verständigen Lehrer be-
gannen zu klagen, wie patzig und unlenksam ihre Schüler würden und
wie das Küchlein stets klüger sein wollte als die Henne. Wie oft hatten
die Ausländer schon gelächelt über den seltsamen Widerspruch, daß die
Deutschen von der Würde der Frauen vielleicht höher dachten als irgend
ein anderes Volk und doch in ihren Umgangsformen dies Gefühl so
wenig zeigten; erst durch die Anmut der neuen Literatur war dies män-
nische Wesen etwas gebändigt und die Frau in der deutschen Gesellschaft
wieder zu ihrem guten Rechte gelangt; und nun reckte sich der ungeleckte