392 II. 7. Die Burschenschaft.
Heißsporn Heinrich Leo dabei denken, wenn ihn der Turnvater ausführ—
lich belehrte: mit dem Dolche müsse man zuerst nach den Augen zielen
und dann, wenn das Opfer die Arme vor den Kopf halte, nach der unge—
deckten Brust stoßen —? Franz Lieber aber, der geistvollste und aufge—
regteste unter den jungen Schwarmgeistern, trug alle „Goldsprüchlein aus
Vater Jahns Munde“ gewissenhaft in sein Taschenbuch ein und ver—
schönerte sie zuweilen noch durch die Weisheit seines eigenen achtzehnjäh—
rigen Kopfes; wenn der Meister die gewichtigen Worte sprach: „Wort
gegen Wort, Feder gegen Feder, Dolch gegen Dolch“ so fügte der Schüler
auf eigne Faust den Schluß hinzu: „nehmen sie mich fest, wohlan!“ —
und das sinnlose Bramarbasieren klang wie das Losungswort einer Ver—
schwörung. Mit der Vertreibung der Franzosen war Jahns politischer
Gedankenvorrat erschöpft; die öffentlichen Vorlesungen über das Deutsch-
tum, die er im Jahre 1817 hielt, brachten außer einzelnen guten Ein-
fällen nur noch hohle Schlagworte. Am liebsten wollte er zwischen Deutsch-
land und Frankreich eine große „Hamme" einrichten, eine von Bären und
Auerochsen bewohnte Wildnis; da dies leider nicht mehr anging, so mußte
mindestens jeder Verkehr mit den Welschen aufhören: „wer seine Tochter
französisch lernen läßt tut nichts Besseres als wer sie die Hurerei lehrt.“
Dazwischenhinein heftige Angriffe auf die geheime Rechtspflege der „Schmier-
gerichte mit ihrem Förschlerverfahren“", und ein ganzes Wörterbuch von
Schimpfreden wider die Hofleute und Staatsmänner, diese Vorgemachs-
hasen, Steigemänner, Schürzenkrebse, Kuppelpelze, Wettergänse. Zum
Schluß rief er: „Gott segne den König, mehre die Deutschheit und ver-
leihe gnädig und bald das Eine was not tut, eine weise Verfassung."“
Was er sich unter der weisen Verfassung dachte, blieb ihm selber
dunkel. Das junge Volk aber säumte nicht, im törichten Absprechen über
unverstandene Fragen den Meister noch zu überbieten. Der Zynismus
der Turnerei, ihr Haß gegen allen Glanz und allen Adel wurzelte freilich
in unausrottbaren Eigenheiten des deutschen Charakters; die Sehnsucht
nach der formlosen Einfachheit ursprünglichen Menschenlebens war unserem
Volke immer geblieben und hatte sich schon oft, sobald das germanische
Blut in Wallung geriet, in ungestümer Roheit Luft gemacht, so in den
grobianischen Schriften des sechzehnten Jahrhunderts und neuerdings wieder
in der Zeit der poetischen Stürmer und Dränger. Doch auch der politische
Gleichheitsfanatismus der verabscheuten Jakobiner wirkte unbewußt auf
die Gedanken der Turner ein. Wenn Buris „Turnruf“ die Eitlen vom
Ringplatze hinwegwies mit den Worten: „fort aus der Gleichheit Heilig-
tum, das Knecht' und Herren haßt,“ so konnte es nicht ausbleiben, daß
junge Hitzköpfe dies Evangelium der Gleichheit kurzerhand auf das politische
Leben übertrugen. Waidliche Scheltworte wider die „Schmarotzer, Komö-
dianten, Huren, Pferde und Hunde“ der prassenden Höfe gehörten zum
Turnerbrauche, und in den Schulstuben vergnügte man sich an einer