Parteiung in Frankreich. 447
geschah wie er weissagte: die Bauernhütte kannte bald keine andere Ge—
schichte mehr, Napoleon wurde den Massen der Nation in Nord- und
Mittelfrankreich der einzige Held des Jahrhunderts. Auch in den Staaten
des Rheinbunds war der kaum erst eingeschlummerte Napoleonskultus
bereits wieder erwacht. In jedem Wirtshause des deutschen Südens
hingen die Abbildungen der napoleonischen Schlachten, und mehrmals
mußte der Gesandte König Ludwigs beim Münchener Hofe Klage führen,
weil Bilder und Statuetten des Soldatenkaisers von unbekannter Hand
in der bayrischen Armee verteilt wurden.
So fand sich die beste und wohltätigste Regierung, welche Frank-
reich seit der Revolution gesehen, von allen Seiten her bedroht. Die vier
Mächte aber, die bis in das Jahr 1817 hinein vor allem die Parteiwut
der Ultraroyalisten gefürchtet hatten, begannen jetzt die geheimen Um-
triebe der Radikalen und die Kriegslust der Bonapartisten als die gefähr-
lichsten Feinde des Bourbonenthrones zu betrachten. In der Tat ließ
sich der Ruf „Rache für Waterloo“ bereits deutlich vernehmen. In dem-
selben Augenblicke, da die französischen Kammern die Räumung des Landes
von den Verbündeten forderten, genehmigten sie zugleich das neue Wehr-
gesetz und nötigten den Kriegsminister, die Linienarmee noch um 50,000
Mann über seine eigene Forderung hinaus, bis auf 240,000 Mann zu
verstärken. Darauf wurde eine dichte Schar kaiserlicher Offiziere wieder
in die Linie aufgenommen und eine starke Reserve-Armee gebildet, die fast
ausschließlich aus napoleonischen Veteranen bestand. Begreiflich genug,
daß alle diese Vorgänge in der preußischen Armee als Vorboten des
nahenden dritten punischen Krieges angesehen wurden; Gneisenau nament-
lich war und blieb der Ansicht, nur die vollständige Abdankung des bona-
partistischen Heeres könne die neue Ordnung der Dinge einigermaßen
sicherstellen.)
Weder in London noch in Wien und Berlin täuschte man sich über
die Schwäche der bourbonischen Herrschaft; man erwartete ihren Sturz
sogar noch früher als er wirklich eintrat. Die Berichte Wellingtons, des
Oberbefehlshabers in Frankreich, lauteten fast hoffnungslos. Gleichwohl
erkannten alle, daß das Ansehen der legitimen Dynastie durch die Anwesen-
heit der fremden Truppen nur noch mehr gefährdet wurde. Schon im
Mai 1818 waren die vier Mächte ohne förmliche Abrede einig in dem
Entschlusse, die Zeit der Okkupation von fünf auf drei Jahre herabzu-
setzen und das Nähere auf dem bevorstehenden Fürstentage zu verein-
baren. Dem preußischen Hof kostete es wenig Mühe, sich mit diesem
Gedanken zu befreunden, da Hardenberg von vornherein auf die Okku-
pationsarmee geringen Wert gelegt hatte. Weil der König von Spanien
sich durch seine Ausschließung gekränkt zeigte und auch andere Höfe ihre
*) Gneisenaus Bemerkungen zu Royers Berichten aus Paris, 28. Dez. 1818.