470 II. 8. Der Aachener Kongreß.
Adler nach einem halben Jahrhundert wiedersehen sollte. In den Tuilerien
zeigte der Zar wieder seine schauspielerischen Künste; er blieb nur einen
Tag und hielt, sobald sein preußischer Freund ins Theater gefahren war,
mit König Ludwig eine lange feierliche Unterredung, wobei es an pathe—
tischen Worten und gönnerhaftem Wohlwollen nicht fehlte. Aber bindende
Zusagen gab er dem Könige nicht, und als er am 31. Oktober nach
Aachen zurückkehrte, fand er die Staatsmänner in einer Stimmung, welche
für Frankreich nichts Gutes verhieß.
Die soeben vollzogenen Ergänzungswahlen für die französischen Kam—
mern hatten keinem einzigen Ultraroyalisten ein Mandat gebracht, da—
gegen waren selbst in den Hochburgen der legitimistischen Partei, in der
Bretagne und der Vendee erklärte Demokraten wie Lafayette und Manuel
gewählt; und zudem die beunruhigenden Nachrichten von der Pariser Börse.
Frankreichs Zukunft erschien allen unsicherer denn je, und mit Nachdruck
hob Metternich in einer Denkschrift vom 1. November hervor, daß dieses
Land sich noch immer nicht in der gleichen Lage befinde wie die übrigen
Mächte. Niemand wolle das ruhige und konstitutionelle Frankreich be—
drohen; aber dieser Staat sei aus einer Revolution hervorgegangen und
von Parteien zerrissen; es bestehe zwischen den vier Mächten eine Ver—
pflichtung ihn zu beobachten, ob er wieder in revolutionäre Zuckungen
verfallen sollte, „eine Verpflichtung, welche gegen keinen anderen Staat
besteht“; deshalb könne Frankreich nicht in einen förmlichen Bund ein—
treten, zumal da es an einem casus foederis fehle, sondern nur zur
Teilnahme an den Beratungen der vier Mächte aufgefordert werden.
Diese Ansicht drang durch, obwohl Rußland einige mehr gegen die Form
als gegen die Sache gerichtete Einwendungen erhob,“) und hierauf wurde
der Allerchristlichste König durch eine schmeichelhafte Note der vier Mächte
an Richelien vom 4. Novbr. eingeladen, fortan seine Ratschläge mit den
ihrigen zu vereinigen. Am 12. erklärte der französische Minister in einer
Antwortsnote die lebhafte Dankbarkeit seines Königs für diesen neuen
Beweis von Vertrauen und Freundschaft und versprach, daß Frankreich
sich „mit der ihm eigentümlichen Ehrlichkeit" an die Union der Mächte
anschließen werde.
Am 15. unterzeichneten sodann die nunmehr vereinigten fünf Mächte
ein Protokoll, worin sie den Beitritt Frankreichs zu dem Systeme des
allgemeinen Friedens feierlich aussprachen und zugleich sich verpflichteten,
von Zeit zu Zeit, nach Vereinbarung, persönliche Zusammenkünfte zur
gemeinsamen Beratung ihrer Angelegenheiten zu halten; sollten auf
diesen Zusammenkünften die Interessen anderer Mächte zur Verhandlung
*) Protokoll der 22. Sitzung vom 4. Nov. Metternich's Apereu de la situation
1. Nov. 1818. Das in Metternichs nachgelassenen Papieren III. 161 abgedruckte Akten-
stück ist nur das erste Konzept dieser nachher noch stark umgearbeiteten Denkschrift.