Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

472 II. 8. Der Aachener Kongreß. 
Truppen um Brüssel, die Preußen um Köln, die Osterreicher um Stutt- 
gart, die Russen binnen drei Monaten um Mainz versammelt sein. Von 
den belgischen Festungen besetzt England die westlichen, Ostende, #pern 
und einige der Scheldeplätze, Preußen die Plätze an der Maas und 
Sambre, Namur, Charleroi, Marienburg usw. Die kleinen deutschen 
Kontingente dachte man wieder wie im Jahre 1815 nach der geographi- 
schen Lage unter die verschiedenen Armeen zu verteilen, da ein Bundes- 
heer noch immer nicht bestand. Dies Protokoll ward genehmigt, und dann 
mußte Wellington auf Preußens Andringen auch noch die Zustimmung 
des Königs der Niederlande einholen.) 
Den preußischen Generalen war mit alledem noch nicht genug ge- 
schehen. Sie täuschten sich nicht über die vollkommene Unbrauchbarkeit des 
gerühmten niederländischen „Polsterkissens“", das nach der Absicht des 
Wiener Kongresses den ersten Stoß der französischen Heere auffangen 
sollte; sie kannten den kläglichen Zustand der niederländischen Armee und 
wußten, daß sie nicht ausreichte, um auch nur die Hälfte von jenen 
fünfzig Festungen und Forts zu bewachen, welche Wellington soeben mit 
Hilfe der französischen Kontributionsgelder an der belgischen Grenze aus- 
bauen ließ. Preußen beabsichtigte daher als der zunächst bedrohte Nach- 
barstaat am Niederrhein ein stehendes Observationskorps aufzustellen, das 
gegebenen Falls noch vor der Kriegserklärung geradeswegs in Belgien ein- 
rücken sollte. Um mit dem niederländischen Hofe das Nähere zu ver- 
abreden, wurde General Müffling von Aachen aus nach Brüssel gesendet; 
aber eine solche Schmälerung seiner Souveränität wollte König Wilhelm 
schlechterdings nicht zugeben. Schon seit Jahren hatte der Oranier, der 
seinen Thron den Waffen der Verbündeten verdankte, seine Vorliebe für 
Frankreich, seinen Haß gegen Preußen deutlich bekundet. Jetzt grollte er, 
weil König Friedrich Wilhelm ihn nicht von Aachen aus besucht hatte, 
und mehr noch weil Preußen, den Verträgen gemäß, den Oberbefehl 
in der Bundesfestung Luxemburg beanspruchte; und als der preußische 
Unterhändler nun gar auf die schwierige Stimmung der Belgier warnend 
hinwies, da fühlte sich der Brüsseler Hof tief beleidigt. Er wollte nichts 
wissen von dem furchtbaren, täglich wachsenden Grolle der katholischen 
Belgier wider die holländischen Ketzer und sah sich in seinem verblendeten 
Hochmut bestärkt durch den englischen Gesandten Lord Clancarty, der dies 
künstliche Königreich, dies Meisterwerk englischer Staatsweisheit nicht 
genug bewundern konnte. Der Hochtory fand die Zustände in Belgien 
ganz vortrefflich und riet dem Berliner Hofe mit englischer Bescheiden- 
heit: möge nur Preußen dem guten Beispiel, das die Holländer in Bel- 
gien geben, folgen und seine neuen Provinzen ebenso musterhaft regieren; 
dann wird für die preußischen Rheinlande nichts mehr zu fürchten sein! 
  
*) Protocole militaire vom 15. November. Bernstorff an Lottum, 9. November. 
Wolzogens Denkschrift, 17. Okt. Boyens Denkschrift, 15. Nov. 1818.
	        
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