Geheimer Kriegsplan gegen Frankreich. 473
Solchen Köpfen vermochte Müffling allerdings nicht zu erweisen, wie
wichtig der freundnachbarliche Vorschlag Preußens für die Erhaltung des
niederländischen Gesamtstaats werden konnte. Er verbrachte den ganzen
Winter in unerquicklichen Verhandlungen und kehrte im Frühjahr unver—
richteter Dinge heim.
So gelangten zwar nicht alle Pläne der Aachener Verbündeten zur
Vollendung. Aber das Wesentliche war erreicht; die Quadrupelallianz
blieb aufrecht, fester, einträchtiger denn je zuvor. Frankreich dagegen
unterlag noch immer der polizeilichen Aufsicht der vier Mächte, obwohl
die Pariser Gesandtenkonferenz nunmehr, der Form halber, aufgelöst
wurde.)) Jeden Augenblick, sobald der Parteikampf in Frankreich bedroh-
lich zu werden schien, konnte der Rat der Vier zusammentreten und
nach dem verabredeten Plane sofort zur bewaffneten Intervention schreiten.
Richelien erhielt nur die vertrauliche Mitteilung, daß der Vierbund nicht
aufgelöst sei, und hütete sich wohl dies dem französischen Selbstgefühle so
peinliche Geheimnis zu verraten. Von dem Ernst und dem Umfang der
getroffenen Vorsichtsmaßregeln ahnte er gar nichts; ebensowenig von der
veränderten Gesinnung des Zaren Alexander, dem er alle seine Dank-
barkeit zuwendete. Entzückt schrieb er über den russischen Monarchen: „man
sollte die Spuren seiner Füße küssen;" er wußte nicht, daß gerade dieser Wohl-
täter Frankreichs den Verbündeten zuerst die Einsetzung eines militärischen
Ausschusses vorgeschlagen und bei den Verhandlungen über das Heerwesen
der Koalition sich neben den Preußen am allereifrigsten gezeigt hatte.
Wie viele Demütigungen mußte doch das stolze Frankreich auf diesem
Kongresse hinnehmen. Auch nachdem der französische Minister zur regel-
mäßigen Mitwirkung eingeladen war, hörten die Sitzungen des Vier-
bundes nicht auf; von den 47 Sitzungen des Kongresses fanden fünfzehn,
fast ein Drittel, ohne Richelieus Teilnahme statt. Am Jahrestage der
Leipziger Schlacht veranstalteten die Verbündeten ein glänzendes Fest dem
sich der französische Minister und sein Gefolge nur durch eine plötzliche
Reise entziehen konnten; und welche sonderbare Rolle spielte nachher der
Herzog von Angouleme, als er inkognito auf kurze Zeit in Aachen er-
schien, um den Pariser Besuch der beiden Monarchen zurückzugeben. Die
unwürdige Stellung Frankreichs im hohen Rate Europas war die natür-
liche Folge der Sünden der hundert Tage; wer durfte den vier Mächten
verargen, wenn sie einer neuen Störung des Weltfriedens, der dieser
todmüden Zeit schlechthin als der Güter höchstes galt, mit jedem Mittel
vorzubeugen suchten? Doch auf die Dauer konnte eine große Nation eine
so beschäamende Behandlung unmöglich ertragen.
Im Verlaufe dieser Unterhandlungen enthüllte sich auch das letzte
Ziel, welches dem Zaren bei allen den rätselhaften Wendungen seiner
*) Protokoll der 47. Sitzung vom 22. Nov. 1818.