Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Plan eines allgemeinen Garantie-Vertrags. 475 
eine allgemeine gegenseitige Gewährleistung des europäischen Besitzstandes 
einzugehen; denn der friedensseligen Welt war jedes Mittel zur Wahrung 
des Bestehenden willkommen, und Metternich hoffte insgeheim, die all— 
gemeine Garantie werde den beiden Ehrgeizigen, die er am meisten fürch— 
tete, dem Zaren und dem preußischen Heere, einen Zaum anlegen. Aber 
Lord Castlereagh widersprach entschieden. Mit einem so weit aussehenden 
Vertrage durfte er dem Parlamente nicht unter die Augen treten; der 
Plan lief auf die Befestigung der Heiligen Allianz hinaus und konnte 
also nur ihrem Stifter, der den Briten längst zu mächtig war, zu gute 
kommen. Auch die regelmäßigen Kongresse erschienen der insularischen 
Politik unannehmbar; nur auf gelegentliche Zusammenkünfte, je nach Zeit 
und Umständen, wollte sie sich einlassen. Der Lord blieb unerschütterlich, 
und da auch die beiden deutschen Mächte sich gestehen mußten, daß die 
handfeste Quadrupelallianz mit ihren klaren, greifbaren Verpflichtungen 
den europäischen Frieden ungleich wirksamer sicherte als der nebelhafte 
Heilige Bund, so wurde die Beratung über den Garantievertrag vor— 
läufig vertagt. Der Zar aber hielt die Hoffnung fest, daß die zarte 
Psyche seines Lieblingswerkes dereinst noch einen Körper gewinnen sollte, 
erinnerte seine Gesandten in einem Rundschreiben nochmals an die Grund— 
sätze der Heiligen Allianz und erklärte zum Abschied nachdrücklich: er sei 
bereit sich jedem Garantievertrage anzuschließen, welchen eine der vier 
Mächte auf Grund der Ancillonschen Denkschrift noch vorschlagen würde.“) 
Auch bei manchen anderen Fragen trat der alte Gegensatz der eng— 
lischen und der russischen Politik wieder grell hervor. Da der Negerhandel 
an der brasilianischen Küste nicht nachließ, so verlangte England das Recht, 
alle des Sklavenhandels verdächtigen Fahrzeuge überall durch seine Kriegs— 
schiffe durchsuchen zu lassen; Rußland aber und die sämtlichen anderen 
Mächte fanden diesen Anspruch allzu anmaßend, und Castlereagh mußte 
zufrieden sein, als die drei Monarchen sich herbeiließen, den König von 
Portugal in eigenhändigen Briefen zur Abstellung des Unwesens zu er— 
mahnen.“) Andererseits konnten Rußland und Preußen ein gemeinsames 
Vorgehen gegen die Barbaresken nicht durchsetzen, weil England keine 
russischen Schiffe im Mittelmeere sehen wollte. Ebenso erfolglos blieb 
ein Hilferuf des Madrider Hofes. Die alten Gönner der spanischen 
Bourbonen, Rußland und Frankreich, wünschten, daß England die Ver- 
mittlung zwischen dem Könige und seinen aufständischen Untertanen in 
Südamerika übernehmen, womöglich auch die Vereinigten Staaten 
von der Anerkennung der neuen kreolischen Republiken abhalten sollte. 
Wellington aber lehnte die Zumutung ab. Er erkannte, daß König 
  
*) Bernstorff an Lottum, 5. 23. Nov. 1818. 
7# ) König Friedrich Wilhelm an den König von Portugal, 7. Nov. Bernstorff 
an Lottum, 29. Okt., 9. Nov. 1818.
	        
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