Italienische Reise. 41
Wirksamer als diese kritische Tätigkeit ward das Erscheinen der Ita—
lienischen Reise im Jahre 1817. Seit langem waren diese Erinnerungs—
blätter in den Kreisen der Freunde verbreitet; nun gab sie der Dichter
gesammelt heraus in einer neuen Bearbeitung, welche absichtlich alles
Licht auf Rom, auf die Werke des Altertums und der Renaissance fallen
ließ. Die Deutschen sollten ihm nachfühlen, wie ihn einst die übermächtige
Sehnsucht unaufhaltsam nach der ewigen Stadt drängte, wie selbst in
Florenz seines Bleibens nicht war, wie er in Assisi nur Augen hatte für
die schlanken Säulen des Minerventempels und „den tristen Dom“ des
heiligen Franciscus, die geweihte Stätte, wo einst Giottos Kunst erwachte,
keines Blickes würdigen wollte, bis er schließlich unter der Porta del
Popolo sich gewiß war Rom zu haben. Und nun mußten die Leser ihm
folgen durch alle jene reichen Tage, die schönsten und fruchtbarsten seines
Lebens hindurch: wenn morgens die Sonne über den zackigen Gipfeln
des Sabinergebirges emporstieg und der Dichter den einsamen Weg am
Tiber entlang hinauszog zu dem Brunnen in der Campagna; wenn er
unter den Trümmern des Forums als ein Mitgenosse der Ratschläge
des Schicksals die Geschichte von innen heraus lesen lernte, wenn ihn
im einsamen kühlen Saale die ganze Seligkeit des Schaffens überkam,
die Gestalten der Iphigenie, des Egmont, des Tasso, des Meister mächtig
auf ihn eindrängten; wenn er endlich unter den Orangenbäumen am
sonnigen Strande von Taormina die Nausikaa und den Dulder Odysseus
leibhaftig vor sich wandeln sah. Und dann immer wieder das demütige
Geständnis des Mannes, der längst schon den Götz und den Werther
gedichtet hatte: hier sei er wiedergeboren worden, hier sei ihm erst die
Klarheit und die Ruhe des Künstlers aufgegangen, hier habe er erst ge—
lernt aus ganzem Holze zu schneiden. Die alte Germanensehnsucht nach
dem Süden, die Dankbarkeit der Nordländer gegen die schönen Heimat—
lande aller Gesittung hatte niemals wärmere Worte gefunden. Der Ein—
druck war tief und nachhaltig. Dem Dichter wurde die Freude, daß
mehrere der begabtesten jungen Künstler sich bald nachher wieder dem
Altertum zuwendeten. Aber nicht bloß die Nazarener grollten dem heid—
nischen Buche, auch Niebuhr und manche andere weltlich freie Köpfe
fühlten sich befremdet. Diese rein ästhetische, dem politischen Leben grund—
sätzlich abgewendete Weltanschauung entsprach den Gesinnungen der acht—
ziger Jahre; dem Geschlechte, das bei Leipzig und Belle Alliance geschlagen
hatte, konnte sie nicht mehr ganz genügen, wie mächtig auch die litera—
rischen Neigungen wieder überhandnahmen.
Vor wenigen Jahren erst hatte Goethe einige seiner jugendlichsten
geselligen Lieder geschrieben, so das ausgelassene Burschenlied Ergo biba-
mus. Nach und nach, da er hoch in die Sechzig hinaufkam, regten sich
ihm doch die Gefühle des Alters, die milde Beschaulichkeit, die gefaßte
Ergebung, die Neigung zum Lehrhaften, Symbolischen und Geheimnis-