Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Großherzog Ludwig von Baden. 509 
und harter Bureaukrat. Eine kurze Zeitlang suchte der König von 
Württemberg die Freundschaft seines neuen Nachbarn zu gewinnen; doch 
nach einer geheimen Zusammenkunft zu Schwetzingen (April 1819) trennten 
sich die beiden Fürsten tief verstimmt.) Der alte Soldat in Karlsruhe 
wollte von den Hirngespinsten der liberalen Triaspolitik nichts hören und 
bemühte sich um das Wohlwollen der Ostmächte, deren Mißtrauen seinem 
Staate so schwer geschadet hatte. Er dachte dabei zunächst an sein ge- 
liebtes Preußen, während Berstett sich mehr zu Osterreich neigte; beide 
aber, der Souverän wie der Minister, blickten mit dankbarer Verehrung 
auf Rußland, das ihnen der Geschäftsträger Blittersdorff beharrlich als 
den natürlichen Schwerpunkt für das unruhige Europa anpries, und 
hörten gern auf die Ratschläge Anstetts in Frankfurt, der nach und 
nach einen großen Einfluß am Karlsruher Hofe erlangte.*) Im Hause 
führte der Großherzog das Leben eines wüsten Junggesellen; ein guter 
Kopf, aber ohne Sinn für edle Bildung hatte er sich früh geschmacklosen 
Ausschweifungen ergeben. Als allbereiter Helfer stand ihm bei seinen 
kleinen Abenteuern wie bei den politischen Verhandlungen der Major Hen- 
nenhofer zur Seite, der Uberall und Nirgends der Salons, der sich durch 
zynischen Witz und einschmeichelnde Gewandtheit vom Feldjäger zum mili- 
tärischen Diplomaten aufgeschwungen hatte, ein mit allen Hunden ge- 
hetzter Mensch, dem es nicht darauf ankam in amtlichen Aktenstücken 
Zitate aus Tristram Shandy anzubringen, mit jedermann bekannt, in 
alle Geheimnisse eingeweiht, trotz seiner abschreckenden Häßlichkeit als Ver- 
mittler und Zwischenträger immer willkommen. Durch die Schuld dieses 
neuen Hofes wurde die ehrbare Stadt Karl Friedrichs auf lange Zeit 
hinaus neben München die sittenloseste der deutschen Residenzen. 
Nicht ohne Selbstüberwindung entschloß sich der Großherzog, auf den 
22. April seine Landstände zu berufen. Ein kleines Land wie das meine, so 
äußerte er oft, bedarf einer patriarchalischen Regierung; indes getröstete er 
sich der Hoffnung, daß der Landtag sich mit der unscheinbaren Rolle eines 
Familienrats begnügen und nichts unternehmen werde „was über unsere 
Sphäre hinaus liegt“.-““) Bei dem Festmahle, das er nach der Eröffnung 
des Landtags den Abgeordneten gab, erhob er einen großen Pokal voll 
alten Markgräflerweines, trank auf das Wohl seiner getreuen Stände 
und ließ dann den Humpen nach altem Brauche im Kreise herumgehen. 
Die Volksvertreter selber faßten ihre Aufgabe mit nichten so bescheiden 
auf wie der Landesherr; sie waren schon auf der Reise von dem hoff- 
nungsseligen Volke überall mit fürstlichen Ehren, mit Triumphbogen und 
rauschenden Festen begrüßt worden und empfingen von der gemütlichen 
  
*) Varnhagens Berichte, 19. 21. April 1819. 
*.) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 5. Jan. 1819 ff. 
*“ ) Berstett an Kapodistrias, 10. Dez. 1819.
	        
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