Der badische Landtag gegen den Bundestag. 517
unzweifelhaft rechtswidrigen großherzoglich badischen Gesetze, das noch dazu
durch die badische Regierung selber bereits aufgehoben war. Man hielt
es garnicht der Mühe wert, erst zu beweisen, warum denn Baden seine
Bundespflichten gegen die Mediatisierten nicht ebenso ehrlich erfüllen konnte
wie Preußen und Bayern. Schritt man auf diesem Wege fort, so wurden
die letzten armen Trümmer einer nationalen Rechtsordnung, welche den
Deutschen noch blieben, durch den liberalen Partikularismus zerstört.
Jene Zuchtlosigkeit der deutschen Libertät, welche das alte Reich verwüstet
hatte, lebte wieder auf; nur trotzte sie nicht mehr auf habende ständische
Freiheiten, sondern auf die naturrechtliche Phrase der angeborenen Rechte.
Liebenstein, der so oft in flammender Begeisterung von der Einheit
Deutschlands geredet hatte, stellte jetzt die ungeheuerliche Behauptung auf,
ein Bundesbeschluß werde überhaupt erst rechtsgültig durch die Zustim-
mung der Karlsruher Kammern, obschon die badische Verfassung selbst
die Verbindlichkeit der Bundesgesetze für das Großherzogtum ausdrücklich
anerkannte. Paulus beeilte sich, in Rottecks Archiv diese neue Doktrin
als ein Bollwerk deutscher Freiheit zu verherrlichen. Die Liberalen wagten
offenen Ungehorsam gegen den Deutschen Bund, auf dessen Grundgesetz
die badische Verfassung selber beruhte; und dies in einem Augenblicke,
da der Bundestag zwar durch Trägheit schwer gesündigt, aber noch durch-
aus keine Gewalttat gegen die Freiheit der Nation versucht hatte. Und
bei diesem Feldzuge gegen den Bund half der preußische Geschäftsträger
getreulich mit; er spielte die Rolle eines badischen Oppositionsführers mit
solcher Dreistigkeit, daß Großherzog Ludwig ein Jahr darauf, als Varn-
hagen endlich abberufen war, zu seinem Nachfolger Küster offen sagte:
wir haben endlich Frieden, weil Varnhagen nicht mehr hier ist; „seine
Anwesenheit würde heute wie vor'm Jahre alles verderben!“)
In der ersten Kammer fanden die Rechte der Mediatisierten besseren
Schutz. Türckheim erstattete einen vortrefflichen, freilich sehr scharfen Be-
richt, wies das Unrecht der zweiten Kammer siegreich nach und gab ihr
zu bedenken, daß ein angesehener Adel zu allen Zeiten eine Schutzmauer
gegen die Willkür des Beamtentums gewesen sei. Der Ubermut der
jungen liberalen Partei war aber schon so hoch gestiegen, daß sie ein
starkes Wort aus konservativem Munde bereits wie eine Gewerbsbeein-
trächtigung ansah. Die zweite Kammer wies den Bericht Türckheims
„mit Indignation“ zurück, obgleich ihre eigenen Redner wahrlich auch
kein Blatt vor die Lippen genommen hatten. In seiner Erwiderung berief
sich Winter sogar auf den berühmten Satz aus Steins politischem Testa-
ment, daß keinem Untertan obrigkeitliche Gewalt zustehen dürfe; und
doch war allbekannt, daß der Freiherr die vormaligen Reichsstände keines-
wegs zu den Untertanen rechnete, sondern ihre vertragsmäßigen Rechte
*7) Küsters Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.