Demagogenverfolgung in Berlin. 541
Marktes kaum bedürfe, sich uns ja nicht entfremde; er hoffte auf ein Bun-
desgericht, auf eine gemeinsame, durch eine diplomatische Kommission des
Bundestags geleitete auswärtige Politik, und was der frommen Wünsche
mehr war. So wenig ahnte er, was Metternich im Schilde führte.
Welch ein bedeutsamer Gegensatz! Hier die gestaltlosen föderalisti-
schen Träume eines redlichen Patrioten, der, in seiner heimischen Re-
publik das Muster eines umsichtigen praktischen Staatsmannes, von der
unverbesserlichen Nichtigkeit des Deutschen Bundes mit kindlichem Ver-
trauen das Unmögliche erwartete; dort der Zynismus einer undeutschen
Politik, welche die Ruhe der Völker durch polizeilichen Druck zu erzwingen
dachte, aber ihr geheimes Ziel mit durchtriebener Schlauheit und klarer
Berechnung verfolgte. In einem solchen Wettstreit konnte der Sieg nicht
zweifelhaft sein, selbst wenn die Ungleichheit der Macht weniger lächerlich
gewesen wäre. Der hanseatische Staatsmann ließ sich's nicht träumen,
daß seine harmlose Denkschrift dem Wiener Hofe verraten und dort,
trotz der so brünstig beteuerten Unterwürfigkeit gegen das Haus Oster-
reich, als ein neuer Beweis demagogischer Gesinnung übel vermerkt wurde.
Vor diesen kleinen Genossen hatten die neun verschworenen Höfe sich nicht
zu scheuen, und triumphierend verkündete Gentz seinem Freunde Pilat, als
Metternich in Karlsbad anlangte: ein ungeheurer Moment in der deut—
schen Geschichte sei eingetreten! —
Mittlerweile, im Laufe des Juli, erfolgten in Berlin und Bonn die
ersten Verhaftungen und Haussuchungen; am 13. erstattete Geh. Rat
Kamptz dem Staatskanzler Bericht über das Ergebnis.“) Plump und roh,
mit frevelhafter Leichtfertigkeit hatte er seine Meute gegen alle losge—
lassen, die nur möglicherweise in einer entfernten Beziehung zu der Burschen—
schaft stehen konnten. Und doch blieb die Zahl der verhafteten namhaften
Männer sehr gering; denn Metternich log mit Bewußtsein, wenn er
Preußen als die Brutstätte der revolutionären Pläne bezeichnete. Gerade
die preußischen Universitäten waren an der teutonischen Bewegung nur
wenig beteiligt. Was der Osterreicher mit seinem preußischen Anhang
verfolgte, war nicht die revolutionäre Gesinnung, sondern der deutsche
Nationalstolz, und dieser fand allerdings an Preußens Volk, Heer und
Beamtentum den stärksten Rückhalt. In Berlin war Jahn das erste
Opfer; er wurde nach Spandau, dann nach Küstrin auf die Festung ge-
bracht und hatte einen schweren Stand, weil sich in den Papieren der
verhafteten Studenten und Schüler die „Goldsprüchlein“ sowie andere
närrische, für ängstliche Subalternbeamte hochbedenkliche Herzensergüsse
des Turnvaters vorfanden.
Da der Staat in Gefahr sein sollte, so galt das Erbrechen, das
Perlustrieren der Briefe, wie der amtliche Ausdruck lautete, für erlaubt.
*) Hardenbergs Tagebuch, 13. Juli 1819.