592 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
Ancillon, Daniels, Eichhorn.“) Wieder vergingen sechs Wochen, da Daniels
durch die Geschäfte der rheinischen Justiz-Organisation daheim zurückge—
halten wurde. Endlich am 12. Oktober hielt der Ausschuß seine erste
Sitzung, und Hardenbergs Entwurf — „Ideen zu einer landständischen
Verfassung in Preußen“ — trat aus dem Dunkel hervor.
Die Arbeit bewies, daß die Jahre dem greisen Staatsmanne wohl
die Kraft des Willens, doch nicht die Kühnheit und Schärfe der Gedanken
hatten schmälern können.““) Ganz nach der gründlichen alten preußischen
Weise, in scharfem Gegensatze zu den improvisierten Verfassungen des Sü-
dens, wollte er die parlamentarischen Rechte aufrichten auf der breiten
Unterlage der Selbstverwaltung in Gemeinde, Kreis und Provinz. Der
Siebzigjährige traute sich noch die Kraft zu für einen Umbau der ge-
samten Staatsverwaltung von unten nach oben. Von jenen bureau-
kratisch-liberalen Ansichten, die er einst beim Erlaß des Gendarmerie-
Edikts bekundet, zeigte sich jetzt keine Spur mehr, und nichts konnte unge-
rechter sein als der Vorwurf Steins: dieser Mann biete nur „liberale
Phrasen und despotische Realitäten, ohne Rücksicht auf das Bestandene".
Vielmehr ging Hardenberg, ganz wie Stein selber, von dem Grundsatze
aus: „Wir haben lauter freie Eigentümer;“ an den freien Grundbesitz
sollten sich alle ständischen Rechte anschließen. Daher ward eine Kommunal=
Ordnung, welche den Gemeinden die Verwaltung ihrer eigenen Angelegen-
heiten übertragen sollte, als das nächste dringende Bedürfnis bezeichnet.
Aus indirekten Wahlen der ländlichen sowie der städtischen Gemeinden und
aus direkten Wahlen der Rittergutsbesitzer geht sodann der Kreistag her-
vor, eine Vertretung von drei (oder wo sich Standesherren vorfinden, von
vier) Ständen, die aber eine ungeteilte, nicht an Mandate gebundene Ver-
sammlung bilden. Also nicht der Landadel, sondern der gesamte Großgrund-
besitz soll eine besondere Vertretung erhalten; die Rittergutsbesitzer heißen
zwar Kreisstände, doch sie erhalten nicht Virilstimmen, sondern bloß das
Wahlrecht für die Kreistage. Wählbar ist jeder mündige, unbescholtene
christliche Grundbesitzer. Auf den Kreistagen werden dann die Vertreter
der drei Stände für den Provinziallandtag gewählt, zu denen die Standes-
herren und die Bischöfe hinzutreten; eine Vertretung der Universitäten hatte
der König selbst, sofern sie nicht Grundbesitzer seien, für bedenklich erklärt.
Alle diese ständischen Körperschaften befassen sich wesentlich mit der Ver-
waltung ihrer Kommunalanstalten, dem Schuldenwesen, der Steuerver-
teilung. Dagegen soll der aus Provinziallandtagen gewählte Allgemeine
Landtag gar keine eigene Verwaltung haben, sondern lediglich jährliche
Übersichten über den Gang der Verwaltung, vornehmlich über den Stand
der Finanzen, von den Ministern erhalten und die neuen Gesetze für die
gesamte Monarchie beraten.
*) Kabinettsordre an den Staatskanzler, 23. Aug. 1819. "
*“) Hardenberg, Ideen zu einer landständischen Verfassung in Preußen. S. Beilage IV.