Die Karlsbader Beschlüsse vor dem Staatsministerium. 599
den wiederholten Befehl des Monarchen mußten sie jetzt das Versäumte
nachholen,“) und nunmehr ergab sich unwidersprechlich, daß der Kampf
gegen den Staatskanzler allein durch Humboldt veranlaßt war. In ihren
früheren Gutachten hatten nur drei der Minister über Hardenbergs Vor—
mundschaft geklagt,“) erst seit Humboldts Eintritt war ihnen allen plötz-
lich die Erkenntnis gekommen, daß der urgrund des Übels in der Macht-
stellung des Staatskanzlers zu suchen sei. In solcher Lage konnte ein
neuer Vermittelungsversuch des wackeren Witzleben zu keinem Ergebnis
führen.“) Humboldt mußte zurücktreten, nachdem Hardenberg zum zweiten
Male seine Angriffe abgeschlagen hatte. —
Mit diesem Machtkampf verkettete sich nunmehr der ungleich wichtigere
Streit über die jüngste Wendung der Bundespolitik. Am 8. September brachte
Humboldt die Demagogenverfolgung zur Sprache und bewog die Minister,
gegen den Widerspruch Bernstorffs und Schuckmanns, bei dem Monarchen
anzufragen, ob die ergriffenen Sicherheitsmaßregeln als gesetzliche oder als
außerordentliche Maßregeln zu behandeln seien. Eine strenge Mahnung zum
Gehorsam war die Antwort (16. September). Darauf wurden die neuen
Bundesbeschlüsse dem Staatsministerium vorgelegt und in drei Sitzungen
erwogen (5., 27. Okt., 3. Nov.).)Es kam zu stürmischen Auftritten; die
Berliner wollten wissen, daß Humboldt die Karlsbader Beschlüsse „schändlich,
antinational, ein denkendes Volk beleidigend“ genannt habe. Von solcher
Kühnheit war in dem langen Berichts-Entwurfe, welchen er am 5. Okt.
dem Ministerium vorlegte, keine Spur zu finden. Seine Bedenken stützten
sich ausschließlich auf die gefährdete Souveränität Preußens. „Wir ver-
kennen gewiß", so führte er aus, „das wohltätige Band nicht, welches
Preußen an Deutschland knüpft; aber das Gefühl, einer selbständigen und
Deuts chland nicht einverleibten Monarchie anzugehören, ist immer vorherrschend
in uns gewesen.“ Durch die Karlsbader Beschlüsse erlange der Bundes-
tag das gefährliche Recht sich in die inneren Angelegenheiten der Monarchie
einzumischen; überdies werde Preußen, da alles auf Osterreichs Antrag
beschlossen sei, „in die ganze Reihe der sich gewissermaßen leidend verhaltenden
Staaten gestellt". Der Art. 13 der Bundesakte berühre den preußischen
Staat nicht, da der König schon vorher seiner gesamten Monarchie, auch
den nichtdeutschen Provinzen eine Verfassung versprochen habe. Die Po-
lizeiberichte über die Demagogen bewiesen, „daß weder die Zahl dieser
Menschen groß noch ihre Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft be-
deutend sei.“ Auf solche Erwägungen gestützt beantragte Humboldt: es
solle am Bundestage die Verkündigung der Karlsbader Beschlüsse als
außerordentlicher Maßregeln für zwei Jahre verlangt werden; es solle
*) Bericht des Staatsministeriums an den König, 10. Nov. 1819.
**) S. v. S. 494.
**4) Witzleben, Denkschrift über die Kabinettsordre vom 21. Okt. 1819.
#)) Protokoll der Sitzungen des Staatsministeriums vom 5., 27. Okt., 3. Nov.
1819 (von Humboldt).