Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

600 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
ferner der Minister des Auswärtigen die Vollmacht erhalten, über Bundes- 
beschlüsse, welche innere Angelegenheiten beträfen, mit den beteiligten 
Ministern Rücksprache zu nehmen. 
Der zweite Antrag erschien ganz müßig, da der Minister des Aus- 
wärtigen die gewünschte Vollmacht bereits besaß; aber auch der erste An- 
trag war ebenso ungeschickt als schwächlich. Denn als Humboldt seinen 
Bericht vorlegte, hatte der Bundestag die Karlsbader Beschlüsse, mit aus- 
drücklicher Genehmigung des Königs, schon längst angenommen, und 
während das Ministerium noch beriet, wurden sie in Preußen, abermals 
auf Befehl des Monarchen, förmlich verkündigt. Nach dem Staatsrechte 
der absoluten Monarchie lag eine vollendete Tatsache vor; konnte man 
nicht den König selbst zum Abfall von der österreichischen Politik bewegen 
— und dazu reichten Humboldts gewundene Sätze wahrlich nicht aus — 
so ließ sich an dem Geschehenen nichts mehr ändern. Die offenbare Aus- 
sichtslosigkeit des Kampfes stimmte die übrigen Minister bedenklich, obwohl 
sie fast allesamt gegen Form und Inhalt der Karlsbader Beschlüsse ernste 
Einwendungen zu erheben hatten. Nur zwei, der Kriegsminister und 
der Großkanzler Beyme schlossen sich den Anträgen Humboldts an. 
General Boyen war in seinem preußischen Stolze den Wahngebilden des 
friedlichen Dualismus immer fremd geblieben; der gradsinnige Soldat 
fühlte sich angeekelt durch das lichtscheue Treiben der Demagogenverfolger, 
die sogar Gneisenau und den christlichen Romantiker Gröben nicht mit 
ihren Verdächtigungen verschonten. Der greise Beyme hatte in den letzten 
Jahren seine Sympathien ganz dem Liberalismus zugewendet, obgleich er 
in seinem Departement nie eine praktische Reform zustande brachte, und 
sich neuerdings eng an Humboldt angeschlossen. 
So brachte die Politik plötzlich drei Männer zusammen, die im 
Grunde sehr wenig miteinander gemein hatten. Beymes altmodische 
weichliche Philanthropie war das genaue Gegenteil von Humboldts hel- 
lenischer Weltanschauung; auch Boyen und Humboldt liebten sich nicht, 
noch auf dem Wiener Kongresse hatten sie ein Duell mit einander aus- 
gefochten. Leider führten die beiden Bundesgenossen ihre Sache nicht 
glücklicher als Humboldt selbst. Der Kriegsminister reichte ein gedanken- 
reiches Gutachten ein, das in markigen Zügen den natürlichen Gegensatz 
der beharrenden, katholischen Macht Osterreichs und der frei aufstrebenden 
Politik Preußens schilderte. Das Verhältnis zu Osterreich wollte Boyen 
womöglich auf ein einfaches Verteidigungsbündnis beschränken, obgleich 
wir wegen der Schwerfälligkeit des k. k. Staatshaushalts und Heerwesens 
„den ersten Feldzug wahrscheinlich allein tragen müßten“. Die Verstärkung 
der Bundesgewalt hielt er für bedenklich, so lange Preußen am Bundes- 
tage keinen überwiegenden Einfluß besitze und der Bund ihm nicht einmal 
die Sicherheit seiner außerdeutschen Provinzen verbürge; „niemals richtete 
eines Nassauers Stimme über den treuen oder verirrten Sinn eines
	        
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