600 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe.
ferner der Minister des Auswärtigen die Vollmacht erhalten, über Bundes-
beschlüsse, welche innere Angelegenheiten beträfen, mit den beteiligten
Ministern Rücksprache zu nehmen.
Der zweite Antrag erschien ganz müßig, da der Minister des Aus-
wärtigen die gewünschte Vollmacht bereits besaß; aber auch der erste An-
trag war ebenso ungeschickt als schwächlich. Denn als Humboldt seinen
Bericht vorlegte, hatte der Bundestag die Karlsbader Beschlüsse, mit aus-
drücklicher Genehmigung des Königs, schon längst angenommen, und
während das Ministerium noch beriet, wurden sie in Preußen, abermals
auf Befehl des Monarchen, förmlich verkündigt. Nach dem Staatsrechte
der absoluten Monarchie lag eine vollendete Tatsache vor; konnte man
nicht den König selbst zum Abfall von der österreichischen Politik bewegen
— und dazu reichten Humboldts gewundene Sätze wahrlich nicht aus —
so ließ sich an dem Geschehenen nichts mehr ändern. Die offenbare Aus-
sichtslosigkeit des Kampfes stimmte die übrigen Minister bedenklich, obwohl
sie fast allesamt gegen Form und Inhalt der Karlsbader Beschlüsse ernste
Einwendungen zu erheben hatten. Nur zwei, der Kriegsminister und
der Großkanzler Beyme schlossen sich den Anträgen Humboldts an.
General Boyen war in seinem preußischen Stolze den Wahngebilden des
friedlichen Dualismus immer fremd geblieben; der gradsinnige Soldat
fühlte sich angeekelt durch das lichtscheue Treiben der Demagogenverfolger,
die sogar Gneisenau und den christlichen Romantiker Gröben nicht mit
ihren Verdächtigungen verschonten. Der greise Beyme hatte in den letzten
Jahren seine Sympathien ganz dem Liberalismus zugewendet, obgleich er
in seinem Departement nie eine praktische Reform zustande brachte, und
sich neuerdings eng an Humboldt angeschlossen.
So brachte die Politik plötzlich drei Männer zusammen, die im
Grunde sehr wenig miteinander gemein hatten. Beymes altmodische
weichliche Philanthropie war das genaue Gegenteil von Humboldts hel-
lenischer Weltanschauung; auch Boyen und Humboldt liebten sich nicht,
noch auf dem Wiener Kongresse hatten sie ein Duell mit einander aus-
gefochten. Leider führten die beiden Bundesgenossen ihre Sache nicht
glücklicher als Humboldt selbst. Der Kriegsminister reichte ein gedanken-
reiches Gutachten ein, das in markigen Zügen den natürlichen Gegensatz
der beharrenden, katholischen Macht Osterreichs und der frei aufstrebenden
Politik Preußens schilderte. Das Verhältnis zu Osterreich wollte Boyen
womöglich auf ein einfaches Verteidigungsbündnis beschränken, obgleich
wir wegen der Schwerfälligkeit des k. k. Staatshaushalts und Heerwesens
„den ersten Feldzug wahrscheinlich allein tragen müßten“. Die Verstärkung
der Bundesgewalt hielt er für bedenklich, so lange Preußen am Bundes-
tage keinen überwiegenden Einfluß besitze und der Bund ihm nicht einmal
die Sicherheit seiner außerdeutschen Provinzen verbürge; „niemals richtete
eines Nassauers Stimme über den treuen oder verirrten Sinn eines