Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

604 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
Der König selbst ließ sich von den Verirrungen des Parteigeistes 
nicht anfechten; er hielt die Landwehr, um der Sicherheit des Staates 
willen, für unentbehrlich, nur auf die Erhöhung ihrer Kriegstüchtigkeit 
und zugleich auf Verringerung des Friedensbudgets war sein Plan be- 
rechnet. Aber in diesen schwülen Tagen lag das Mißtrauen in der Luft. 
Die österreichische Partei hatte den Kriegsminister schon seit langem ver- 
dächtigt, nun übermannte ihn selber ein grundloser Argwohn. Der Or- 
ganisator des preußischen Volksheeres befürchtete, der neuen Formation 
der Landwehr würde die Zerstörung seines großen Werkes folgen, und for- 
derte erzürnt seine Entlassung. Vergeblich mahnte ihn der König in einem 
gütigen Schreiben (9. Dez.), seinen Entschluß zurückzunehmen. Boyen wollte, 
wie er dem Staatskanzler (13. Dez.) gestand, „aus Verhältnissen heraus- 
treten, in denen es mir zuweilen schwer sein könnte meine Grundsätze mit 
dem Wechsel der Begebenheiten zu vereinigen“, und beschwor den leiten- 
den Staatsmann zum Abschied noch einmal, bei allen Veränderungen der 
Landwehrverfassung mit der größten Behutsamkeit zu verfahren, „da sie 
für die besondere Lage unseres Staates, für die Erhaltung des Wohlstands 
der Gewerbe und für das gute Einverständnis mit den Zivilbehörden von 
der höchsten Wichtigkeit sind und eigentlich das Ministerium des Innern 
am mehrsten betreffen.“) 
Sobald Boyen die Hoffnung aufgab, ließ auch sein Freund Grolman 
dem lange verhaltenen Mißmut die Zügel schießen. Der Chef des Ge- 
neralstabs hatte in der kurzen Zeit seiner Amtsführung eine großartige 
Tätigkeit entfaltet; er hatte den Entwurf für die Befestigung der östlichen 
Provinzen ausgearbeitet, im Verein mit Baurat Crelle einen Plan für 
den Chausseebau in der ganzen Monarchie festgestellt, die trigonometrische 
Vermessung des Staatsgebietes begonnen und seinem Departement, das 
noch eine Abteilung des Kriegsministeriums bildete, einen so bedeutsamen 
selbständigen Wirkungskreis geschaffen, daß die vollständige Abtrennung des 
Generalstabs von dem Kriegsministerium nur noch eine Frage der Zeit 
war. Inmitten dieser mannigfaltigen Arbeiten war er dem Gange der 
Tagespolitik mit dem ganzen Eifer seiner leidenschaftlichen Natur gefolgt. 
Der geniale Mann hielt sein Lebtag alle seine Grundsätze mit eiserner 
Strenge fest; weder 1814 noch 1815 hatte er das welsche Babylon, das 
er mit seinem guten Degen zu bezwingen geholfen, betreten mögen. So 
blieb er auch im Frieden dem idealistischen Pathos der Befreiungskriege 
treu und vermochte die Erschlaffung, welche nach dem Kampfe die gewöhn- 
lichen Menschen heimsuchte, schlechterdings nicht zu begreifen. Die ganze 
Zeit erschien ihm matt, klein, erbärmlich, und als Boyen sich zurückzog, 
erklärte auch er dem König (17. Dezember), „die jetzt eingetretenen Zeitum- 
stände und die traurigen Jahre, die er seit 1815 erlebt“, nötigten ihn 
*) Boyen an Hardenberg, 13. Dez. 1819. Vergl. die Aktenstücke über Boyens 
Rücktritt im Militär-Wochenblatt 1892, Nr. 79. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.