Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Humboldts und Beymes Entlassung. 607 
eine Masse berechtigter und unberechtigter Beschwerden vor den Thron 
bringen würden. Eine solche Opposition war in diesem Augenblicke schlecht— 
hin staatsgefährlich. Der Staat stand am Vorabend einer heilsamen 
aber höchst unpopulären Reform, die nur einer starken und einigen Re— 
gierung gelingen konnte. Hardenbergs letztes großes Werk, die Gesetze 
über die neuen Steuern und die Schließung der Staatsschuld, sollten in 
den nächsten Tagen im Staatsrate beendigt werden. Nimmermehr durfte 
der alte welterfahrene Steuermann erlauben, daß ihm das hohe Beamten— 
tum seinen Kurs störe inmitten des Sturmes allgemeiner Entrüstung, 
der bei der Verkündigung der neuen Auflagen im Volke loszubrechen 
drohte. Humboldt hatte bereits in seinen beiden Ministerialberichten ein— 
gestanden, daß er an das Vorhandensein des Defizits noch immer nicht 
glaubte und darum die neuen Steuern für unnötig hielt — eine grund— 
falsche, ganz unbegreifliche Ansicht, die aber von einer großen Anzahl der 
kritiklustigen hohen Beamten geteilt wurde; denn nach der guten alt— 
preußischen Uberlieferung betrachteten sich die Häupter des Beamtentums 
als berufen, das Volk gegen fiskalischen Druck zu schützen. Durfte der 
Staatskanzler neben sich einen Minister dulden, der also über die Lebens- 
frage der nächsten Zukunft dachte? 
Wie begründet immerhin der Unmut der drei Minister über die 
Karlsbader Beschlüsse war, Hardenberg befand sich doch im Zustande ge- 
rechter Notwehr; er kämpfte nicht bloß für seine Macht, sondern auch für 
die wohldurchdachten Reformpläne, welche allein einen Ersatz für die auf- 
gehobene Akzise schaffen und das Gleichgewicht im Staatshaushalt wieder- 
herstellen konnten, wenn er jetzt dem Könige dringend vorstellte: ein 
Zusammenwirken mit Humboldt und Beyme sei unmöglich. Manches ge- 
hässige Wort floß dabei mit unter. Der Staatskanzler erinnerte an 
Beymes Parteinahme für Görres, er behauptete bestimmt zu wissen, daß 
Humboldt im Staatsrate den Steuergesetzen widersprechen, dann „mit 
einer erschwungenen Popularität glänzen und den Dienst verlassen wolle“; 
den Bericht über die geplante Berufung der Oberpräsidenten versäumte 
er nicht beizulegen. Fester denn je glaubte er an die gefährlichen Umtriebe 
der revolutionären Partei. Auch den Oberpräsidenten von Schlesien wollte 
er entfernen, weil ihm Merckel zu nachsichtig gegen die Turner erschien; 
auch die Militär-Bildungsanstalten sollten einen neuen Direktor erhalten, 
damit die jungen Offiziere nicht den teutonischen Jakobinern anheimfielen.) 
So wunderbar hatten sich die Dinge verschoben: die Neuordnung des 
preußischen Staatshaushalts hing in jenem Augenblicke mit der Politik 
der Karlsbader Beschlüsse unzertrennlich zusammen. 
Für den König bestand nun keine Wahl mehr, auch wenn er nicht 
so fest an die Heilsamkeit der Karlsbader Politik geglaubt hätte. Konnte 
  
*) Hardenberg an den König, 28. Dez. 1819.
	        
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