Humboldts und Beymes Entlassung. 607
eine Masse berechtigter und unberechtigter Beschwerden vor den Thron
bringen würden. Eine solche Opposition war in diesem Augenblicke schlecht—
hin staatsgefährlich. Der Staat stand am Vorabend einer heilsamen
aber höchst unpopulären Reform, die nur einer starken und einigen Re—
gierung gelingen konnte. Hardenbergs letztes großes Werk, die Gesetze
über die neuen Steuern und die Schließung der Staatsschuld, sollten in
den nächsten Tagen im Staatsrate beendigt werden. Nimmermehr durfte
der alte welterfahrene Steuermann erlauben, daß ihm das hohe Beamten—
tum seinen Kurs störe inmitten des Sturmes allgemeiner Entrüstung,
der bei der Verkündigung der neuen Auflagen im Volke loszubrechen
drohte. Humboldt hatte bereits in seinen beiden Ministerialberichten ein—
gestanden, daß er an das Vorhandensein des Defizits noch immer nicht
glaubte und darum die neuen Steuern für unnötig hielt — eine grund—
falsche, ganz unbegreifliche Ansicht, die aber von einer großen Anzahl der
kritiklustigen hohen Beamten geteilt wurde; denn nach der guten alt—
preußischen Uberlieferung betrachteten sich die Häupter des Beamtentums
als berufen, das Volk gegen fiskalischen Druck zu schützen. Durfte der
Staatskanzler neben sich einen Minister dulden, der also über die Lebens-
frage der nächsten Zukunft dachte?
Wie begründet immerhin der Unmut der drei Minister über die
Karlsbader Beschlüsse war, Hardenberg befand sich doch im Zustande ge-
rechter Notwehr; er kämpfte nicht bloß für seine Macht, sondern auch für
die wohldurchdachten Reformpläne, welche allein einen Ersatz für die auf-
gehobene Akzise schaffen und das Gleichgewicht im Staatshaushalt wieder-
herstellen konnten, wenn er jetzt dem Könige dringend vorstellte: ein
Zusammenwirken mit Humboldt und Beyme sei unmöglich. Manches ge-
hässige Wort floß dabei mit unter. Der Staatskanzler erinnerte an
Beymes Parteinahme für Görres, er behauptete bestimmt zu wissen, daß
Humboldt im Staatsrate den Steuergesetzen widersprechen, dann „mit
einer erschwungenen Popularität glänzen und den Dienst verlassen wolle“;
den Bericht über die geplante Berufung der Oberpräsidenten versäumte
er nicht beizulegen. Fester denn je glaubte er an die gefährlichen Umtriebe
der revolutionären Partei. Auch den Oberpräsidenten von Schlesien wollte
er entfernen, weil ihm Merckel zu nachsichtig gegen die Turner erschien;
auch die Militär-Bildungsanstalten sollten einen neuen Direktor erhalten,
damit die jungen Offiziere nicht den teutonischen Jakobinern anheimfielen.)
So wunderbar hatten sich die Dinge verschoben: die Neuordnung des
preußischen Staatshaushalts hing in jenem Augenblicke mit der Politik
der Karlsbader Beschlüsse unzertrennlich zusammen.
Für den König bestand nun keine Wahl mehr, auch wenn er nicht
so fest an die Heilsamkeit der Karlsbader Politik geglaubt hätte. Konnte
*) Hardenberg an den König, 28. Dez. 1819.