Hardenbergs Siegesfreude. 609
der Karlsbader Politik; aber einfach, groß und kühn hat er sich in diesem
Kampfe nicht gezeigt.
Der Staatskanzler frohlockte über das gewonnene Spiel. Humboldts
Übermut hatte nach dem Staatskanzleramte getrachtet und war dabei zu
Fall gekommen — in dieser Färbung wurde der Ministerwechsel den aus—
wärtigen Diplomaten geschildert. Die Bahn schien frei. Sofort legte
Hardenberg dem Könige seine Steuer-Entwürfe vor und nach dem ersten
Vortrage schrieb er stolz in sein Tagebuch: Nascitur novus ordo.“) War
der Staatshaushalt erst wieder in Ordnung, dann fiel das schwerste Be—
denken gegen die Verfassung hinweg, und der Staatskanzler schloß eine
Laufbahn, die in der Geschichte Preußens ohnegleichen war, mit der
Eröffnung der preußischen Reichsstände. Erstaunlich, welche weitaussehenden
Entwürfe der Greis noch in Angriff nahm. Und doch, wie voreilig war
seine Siegesfreude. Mit dem Sturze der drei Minister verlor der Ver-
fassungsausschuß sein größtes Talent, der Ministerrat die einzigen seiner
Mitglieder, welche den Abschluß der Verfassung ernstlich wollten. Nicht
Hardenberg war der Sieger in diesem verworrenen Kampfe, sondern Witt-
genstein, der immer aus dem Dunkel heraus mitgeholfen hatte, und hinter
ihm Metternich. Noch eine Weile, und die österreichische Partei, welche
der Staatskanzler gegen seinen Nebenbuhler aufgerufen hatte, wendete sich
wider ihn selber, um ihm sein Verfassungswerk zu zerstören, das jetzt
nirgends mehr am Hofe eine Stütze fand. —
Alles historische Werden entspringt der beständigen Wechselwirkung
zwischen dem bewußten Menschenwillen und den gegebenen Zuständen. Wie
die Vernunft, die in den Dingen liegt, nur durch die Willenskraft eines
großen, die Zeichen der Zeit verstehenden Mannes verwirklicht werden kann,
so finden auch die Sünden und Irrtümer der Politiker ihre Schranke
an dem Charakter der Staaten, an der Macht der Ideen, die sich im Ver-
laufe der Geschichte angesammelt haben. Schwer hatte die Krone Preußen
gefehlt, als sie in Karlsbad sich den lebendigen Kräften des jungen Jahr-
hunderts entgegenstemmte; und doch war dieser Staat modern von Grund
aus, er konnte sich der neuen Zeit nicht gänzlich entfremden und begann
eben jetzt eine Reform seines Haushalts, welche ihn befähigte in seiner
wirtschaftlichen Entwicklung alle anderen deutschen Staaten zu über-
flügeln. Nachgiebig bis zur Selbstvergessenheit war Hardenberg in Teplitz
allen Wünschen Osterreichs entgegengekommen, der Glaube an die unbe-
dingte Interessengemeinschaft der beiden Großmächte beherrschte ihn ganz
und gar; und doch war der Gegensatz der beiden Mächte in einer alten
Geschichte begründet und, so lange die Machtfrage der deutschen Zukunft
*) Stockhorns Bericht, 19. Febr., Bernstorff an Hardenberg, Wien 12. Jan., Har-
denbergs Tagebuch, 10. Jan. 1820.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. II. 39