Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Eichhorn. 621 
für immer an die Krone Preußen anzuschließen. Dies galt ihm als die 
Vollendung, als die Läuterung der Träume von 1813. Er erkannte in 
dem Art. 19 der Bundesakte „die gutgemeinte Absicht der deutschen Fürsten, 
daß unbeschadet ihrer Souveränität den deutschen Untertanen die Wohltat 
eines gemeinsamen Vaterlandes gewährt werden müsse,“ und er traute 
seinem Preußen die Kraft zu, die dem Bunde fehlte, diese Wohltat eines 
Vaterlandes den Deutschen zu spenden. Neben der schneidigen Kühnheit, 
die man oft an den großen Epochen unserer Geschichte bewundert hat, 
übersieht man leicht jene kalte, zähe, ausdauernde Geduld, welche der 
preußischen Staatskunst in den endlos langweiligen Händeln deutscher 
Kleinstaaterei zur anderen Natur geworden war. Wohl keiner unserer 
Staatsmänner hat diese altpreußische Tugend mit solcher Meisterschaft ge— 
übt wie Eichhorn. Da watet der geistvolle Mann jahraus jahrein durch 
den zähen Schlamm armseliger Verhandlungen, die schon beim Durchlesen 
körperlichen Ekel erregen. Nichts schwächt ihm die Frische des Geistes; 
immer bleibt ihm der Gedanke gegenwärtig, welch großes Ziel hinter den 
kleinen Händeln winkt; immer wieder rafft sich sein gebrechlicher Körper 
nach schweren Krankheitsanfällen zu rastloser Tätigkeit auf. Uberall hat 
er seine Augen; wie der Arzt am Krankenbette überwacht er die Stimmung 
der kleinen Höfe, ihre Bosheit, ihre Selbstsucht, ihre ratlose Torheit. Zu- 
weilen hilft er sich mit einem scharfen Witze über die Langeweile hinaus. 
„Was wohl die herzoglich sächsischen Häuser beabsichtigen?" — schreibt er 
einmal — „Ja, wenn sie es nur selber wüßten!“ Und nach allem Jammer, 
den ihm die Kleinfürsten zu kosten geben, bewahrt er ihnen doch Achtung 
und Wohlwollen, kommt bereitwillig, mit bundesfreundlicher Gesinnung, 
jedem billigen Wunsche entgegen. Oftmals schlugen die schmutzigen Wellen 
der Demagogenverfolgung gegen seinen ehrlichen Namen anz; er blieb sich 
selber treu, trat tapfer ein für seine verfolgten Freunde und behauptete 
sich doch im Vertrauen des Königs. Dann hat Fürst Metternich viele 
Jahre hindurch alle seine schlechten Künste spielen lassen gegen den ver- 
haßten Patrioten, der in Wien als der böse Dämon Preußens galt. Zu- 
gleich schmähte die liberale Presse auf den Servilen. Er aber trug gelassen 
Stein auf Stein zu dem unscheinbaren Bau deutscher Handelseinheit und 
duldete schweigend die Unbilden der öffentlichen Meinung, denn jeder Ver- 
such einer lauten Rechtfertigung wäre sein sicherer Sturz gewesen. Nachher 
kam doch eine Zeit, da mindestens die Höfe sein Verdienst erkannten; 
sämtliche Orden des Deutschen Bundes, nur kein österreichischer, wurden 
dem anspruchslosen Geheimen Rate verliehen, und die Staatsschriften der 
dankbaren Zollverbündeten priesen ihn als „die Seele des preußischen Mi- 
nisteriums“. Die Nation aber erfuhr niemals ganz was sie ihm schuldete. 
Seine Hoffnung war, das preußische Zollsystem durch Verträge mit 
den deutschen Nachbarstaaten allmählich zu erweitern. Für die Formen und 
Grenzen dieser Erweiterung hat er nicht im voraus einen festen Plan
	        
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