Naturphilosophische Träume. 79
in dies Traumleben. Den alternden preußischen Staatskanzler lockte der
gewandte jüdische Arzt Koreff in die Netze des Mesmerismus, aber auch
Wangenheim, der Führer der Liberalen am Bundestage, stand unter den
Hohenpriestern der Naturphilosophie. Doch überwog der Rationalismus
in der liberalen Welt; die Mehrzahl seiner Jünger fand der Wunder-
glaube in den Reihen der konservativen Parteien. Auch in Frankreich
zählten die beiden eifrigsten Apostel des Somnambulismus, Bergasse und
Puysegur zu den Heißspornen der Legitimität. Die akademischen Lehr-
körper konnten das Mißtrauen gegen die phantastische Willkür der Natur-
philosophen niemals ganz überwinden; die Berliner Universität weigerte
sich hartnäckig den geistreichen Schwärmer Steffens zu berufen, und zum
ersten Male entbrannte ein ernster Streit zwischen der Staatsgewalt und
der jungen Hochschule, als Hardenberg durch ein Machtgebot seine Günst-
linge Koreff und Wohlfart zu ordentlichen Professoren ernannte. Ganz
unbekümmert um den Beifall der großen Welt ging indessen Heinrich
Schubert seinen bescheidenen Gang, der liebenswürdigste und harmloseste
der philosophischen Naturforscher, altväterisch fromm wie es daheim im
Pfarrhause des Erzgebirges der Brauch war, ein ehrwürdiges Vorbild
christlicher Liebe und Duldsamkeit; wenn er in seiner sinnigen gemüt-
vollen Weise von der Symbolik des Traumes und den Nachtseiten der
Naturwissenschaft sprach, dann erbauten sich die Stillen im Lande.
Wie ein Berggipfel ragte aus dem Nebelmeere der romantischen
Naturwissenschaft Alexander von Humboldt empor; ihn bestrahlte schon die
Sonne eines neuen Tages. Bereits in seinen Jugendjahren war er, der
Zeit weit vorauseilend, ganz aus eigner Kraft von der ästhetischen zur
wissenschaftlichen Weltanschauung vorgeschritten. Die treue Sorgfalt der
induktiven Forschung, die der Naturwissenschaft ganz abhanden gekommen
war und den Historikern erst durch Savigny und Niebuhr wieder ge-
wonnen wurde, lag diesem Manne im Blute. Sein Drang nach objek-
tiver Erkenntnis ließ von jeher schlechterdings nur die Tatsachen gelten,
schied das Erwiesene streng von dem Vermuteten ab, und nichts verletzte
ihn tiefer als jener Dünkel der Spekulation, der niemals seine Unkenntnis
eingestehen, niemals bescheiden eine Erscheinung unerklärt lassen wollte.
Darum erschien er in den Kreisen der ästhetischen Idealisten, wo man die
Wirklichkeit als eine lästige Schranke des freien Geistes verachtete, zuerst
wie ein Fremdling aus einer anderen Welt. Schiller hielt den Bruder
seines geliebten Wilhelm für einen ideenlosen Sammler und klagte: dieser
nackte, schneidende, von der Einbildungskraft ganz verlassene Verstand wolle
die Natur schamlos ausgemessen haben. Seitdem hatten die Deutschen
längst erfahren, welche Macht der Phantasie in diesem Genius des empi-
rischen Wissens lebte; sie vermaß sich freilich nicht, den Gang der Forschung
meisternd vorherzubestimmen, aber sie verband die tausend und tausend
sorgsam erforschten Einzelheiten zur lebendigen Einheit, und mit brüderlichem