Triumph des Particularismus. 9
die sie nur mit geeinter Kraft lösen konnte. Durch die Auflösung des
heiligen Reichs und den Rheinbund ist die Unhaltbarkeit eines deutschen
Völkerstaates erwiesen. Der Deutsche Bund ist lediglich ein freier gesell—
schaftlicher Verein zwischen coexistirenden Völkern, die unter einander
Frieden halten und ihre Sicherheit gegen das Ausland gemeinsam ver—
theidigen, aber sich der vollen Souveränität erfreuen wollen; er läßt das
Innere seiner Gliederstaaten ganz unberührt und darf gegen Widersetz—
liche, da Souveränität und Unterordnung völlig unvereinbar sind, nur
das Mittel der Ausschließung anwenden. Wehe uns, wenn „unseren
deutschen Staatenbund der Geist eines Völkerstaates beschliche, gelüstend
nach einer höchsten Staatsgewalt!“ Mit einem Lobgesange auf Baierns
freie Verfassung schloß die Abhandlung. So gänzlich hatte die neue Ver-
fassungsherrlichkeit die Erinnerungen einer tausendjährigen Geschichte ver-
wischt: die Nation der Ottonen und der Staufer löste sich auf in coexi-
stirende Völker.
Da Metternich und Bernstorff Beide fühlten, daß man mit dieser
starken particularistischen Strömung rechnen mußte, so vollzog sich bald
nach der Eröffnung der Conferenzen eine unerwartete Verschiebung der
Parteien. Die Großmächte gingen mit Baiern Hand in Hand und er-
langten in den meisten Fällen die Zustimmung derselben Kleinstaaten, die
man kurz zuvor mißtrauisch von den Karlsbader Berathungen ausge-
schlossen hatte. Die zwei reaktionären Höfe dagegen, welche sich in Karls-
bad am dienstfertigsten gezeigt hatten, Baden und Nassau, bildeten in
Wien die Opposition und spielten die Rolle der deutschen Ultras, wie
Bernstorff zu sagen pflegte. Für Berstett's beschränkten Kopf waren die
zwingenden Gründe, welche den Wiener Hof zur Behutsamkeit nöthigten,
nicht vorhanden; er dachte nur an seine heimischen Verlegenheiten, an den
Karlsruher Landtag, der binnen Kurzem wieder zusammentreten mußte,
an den zornigen Ausruf seines Großherzogs: „besser von Löwen gefressen
werden als von Schweinen!“ Er wollte, wie Bernstorff schrieb, „sein
eigenes Werk durch die Einmischung des Bundes zerstört sehen“ und
wünschte eine umfassende Neugestaltung der Bundesakte, um den Landes-
verfassungen feste Schranken zu ziehen, zum mindesten aber ein neues
Ausnahmegesetz, das die Oeffentlichkeit der Kammerverhandlungen für die
fünfjährige Dauer der Karlsbader Beschlüsse aufheben sollte.) Vergeblich
lieh ihm sein Begleiter, der rastlose junge Blittersdorff seine scharfe Feder.
Nos Ultras wurden bald ihrem alten österreichischen Gönner selber lästig.
Berstett mußte einen seiner Pläne nach dem andern scheitern sehen und
versuchte endlich nur noch durch immer neue Anträge den Schluß der
Conferenzen hinauszuschieben, weil er dem badischen Landtage „durch die
*) Bernstorff an Ancillon, 30. Nov., 25. Dec. 1819. Berstett's Berichte bei Weech,
Correspondenzen S. 34 f.