Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

234 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
über alle Streitfragen des öffentlichen Rechts in letzter Instanz ent- 
schieden; der Staatsrath gewährte dawider nur in seltenen schweren Fällen 
Abhilfe. Dem Aemtersysteme fehlte noch eine geordnete Verwaltungs- 
justzz mit unabhängigen Tribunalen; doch über die Fragen des Ver- 
waltungsrechts war bisher weder die Wissenschaft noch die Praxis ins 
Klare gekommen, und so lange man den Sitz des Uebels nicht erkannt 
hatte, richtete sich aller Unwille gegen die Fachminister und das Uebermaß 
der Centralisation. 
Um den endlosen Beschwerden abzuhelfen, bildete Hardenberg im 
Sommer 1821 einen Ausschuß, der unter Altenstein's Vorsitz über die 
Vereinfachung der Verwaltung berathen sollte, und berief dazu außer 
einigen Beamten der Ministerien vier Präsidenten aus den Provinzen, 
Vincke, Hippel, Baumann und Delius. Hier trat denn Vincke (13. Nov.) 
mit dem Antrage hervor, die Monarchie in vier große Provinzialministerien 
zu zerschlagen und von den Fachministern nur noch vier bestehen zu lassen. 
Fachminister, so führte er aus, eigneten sich nur für Kleinstaaten oder 
für solche Reiche, in denen die Revolution Alles eingeebnet habe und die 
Willkür der Präfekten herrsche. So wurde dieser Mann des gemeinen 
Rechtes, der geschworene Feind der gutsherrlichen Polizei und Gerichts- 
barkeit, durch den Abscheu vor der Verderbniß französischer Centralisation 
dahin geführt, daß er den Plänen des feudalen Particularismus auf 
halbem Wege entgegenkam. Und er stand nicht allein. Klewitz, Schön 
und mehrere andere tüchtige Beamte von unzweifelhaft liberaler Ge- 
sinnung huldigten derselben Ansicht. Hippel aber erwiderte, die neue Ein- 
richtung sei nicht der Revolution nachgeahmt, sondern hervorgegangen aus 
der Nothwendigkeit, die Provinzen „zu einem Volke, einem Reiche“ zu- 
sammenzufassen. Unter den Provinzialministern habe der Staat seine 
Demüthigung erlebt, den Fachministern verdanke er eine Epoche segens- 
reicher Reformen. Und solle etwa dies kräftig aufstrebende Preußen sein 
Vorbild suchen in dem lockeren Nebeneinander der Kronländer Oester- 
reichs, das noch immer am Rande des Bankrotts stehe? 
Zugleich sendete Humboldt, von Vincke befragt, die nach Form und 
Inhalt reifste seiner Denkschriften, den berühmten Brief vom 29. Nov., 
der späterhin den Weg in die Presse fand und immer von Neuem gegen 
die Provinzialstände ins Feuer geführt wurde. Mit zwingenden Gründen 
wies er nach, wie gerade die große Verschiedenheit der Provinzen eine feste 
Centralverwaltung bedinge, und der Minister des Innern, der nach Vincke's 
Plänen ganz verschwinden sollte, der natürliche Vertreter der Staatseinheit 
unter den Ministern sei. Dann ging er auf die Verfassungsfrage über 
und zeigte den ganzen Widersinn des noch nie und nirgends verwirklichten 
Gedankens, einen Einheitsstaat durch Provinzialstände zu zerreißen — 
eines Planes, der entweder die Staatsgewalt unablässigen ständischen Ueber- 
griffen oder die Stände der Nichtigkeit preisgeben müsse. Er sagte vor-
	        
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