Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

244 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
Stein mit seinen westphälischen Freunden forderte, unter leidenschaft— 
lichen Ausfällen gegen die „zerstörende“ Richtung des Beamtenthums, daß 
der Adel den ersten Stand bilde; vier Ahnen und Grundbesitz müßten 
der Regel nach den Zutritt zu der Adelscorporation bedingen. Die Mehr— 
heit der schlesischen Notabeln wünschte nur die adligen Rittergutsbesitzer 
in den ersten Stand aufzunehmen; den bürgerlichen Rittergutsbesitzern 
sollten die ständischen Rechte nur kraft besonderer königlicher Verleihung 
zustehen, auf daß „verdienstlose Glückspilze“ dem ersten Stande fern 
blieben. Ueberhaupt trat unter den Notabeln der Adelshochmuth der Zeit 
weit härter auf als im Schooße der Commission. Die ungeheure Um- 
wälzung, die sich in den Besitzverhältnissen des flachen Landes vollzogen 
hatte, verbot der Commission auf solche Begehren einzugehen; man beschloß, 
alle „Rittergutsbesitzer“ ohne Unterschied der Geburt in den ersten Stand 
aufzunehmen. Der Begriff „Rittergut“ war freilich am Rhein ganz 
unbekannt, auch im Osten so unsicher, daß die sächsischen Notabeln ihn 
durch einundzwanzig verschiedene Definitionen vergeblich zu erläutern ver- 
suchten. Man half aus durch Matrikeln, die in den westlichen Provinzen 
„auch andere größere Landgüter“ aufuehmen sollten. Der erste Stand 
war mithin eine Vertretung des Großgrundbesitzes. Auf den Vorschlag 
der Commission behielt sich die Krone jedoch das Recht vor, den adligen 
Besitzern großer Fideicommißgüter ein verstärites Stimmrecht zu gewähren. 
Dazu in vier Provinzen ein besonderer oberster Stand für die Standes- 
herren und die Domkapitel. 
Der Satz „das Grundeigenthum ist Bedingung der Standschaft" 
stand schon seit Hardenberg's erstem Entwurfe fest; man führte ihn jetzt 
so streng durch, daß sogar die Kirche, der doch ein unbestreitbares historisches 
Anrecht zur Seite stand, keine Vertretung erhielt. Auch für die Wähl- 
barkeit in den Städten wurde Grundbesitz verlangt, und mit Recht zürnte 
Stein über die Ausschließung der bestgebildeten Kräfte der städtischen 
Bevölkerung. Die Vorliebe der historischen Romantik für den Adel und 
die Klassenselbstsucht der adligen Notabeln wurden sodann handelseinig 
über eine Stimmenvertheilung, welche die berechtigten Ansprüche der 
Städte und der Bauern unbillig verletzte. Die Commission nahm als 
Regel an, daß dem großen Grundbesitz die Hälfte, den Städten ein Drittel, 
den Bauern ein Sechstel der Stimmen gebühre; nur im Westen und in 
Ostpreußen sollten die unteren Stände stärker vertreten werden. Von 
den 584 Stimmen der acht Landtage kamen 278 auf die Standesherren 
und Ritter, 182 auf die Städte, 124 auf die Bauern. Die bescheidene 
Stimmenzahl der Städte entsprach ungefähr dem Verhältniß der Kopf- 
zahl, da die Städte der Monarchie im Jahre 1820 erst 3 Mill. Einwohner 
umfaßten, neben 8¼ Mill. Landbewohnern. Doch sie entsprach mit nichten 
der Machtstellung, welche die Bildung und die längst über das flache Land 
verbreiteten Capitalkräfte der Städte in der neuen Gesellschaft behaupteten;
	        
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