Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

246 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes. 
die den Reichsständen zugesagten Rechte vorderhand, so lange kein Reichs— 
tag bestehe, von den Provinzialständen ausgeübt werden sollten. Natürlich 
nicht alle jene verheißenen Rechte; die Zustimmung der acht Provinzial— 
landtage zu der Aufnahme von Staatsanleihen konnte nur ein Thor 
fordern. Nur das Recht der Berathung über alle Gesetze, „welche Ver— 
änderungen in Personen- und Eigenthumsrechten und in den Steuern zum 
Gegenstande haben,“ sollte jedem Provinziallandtage zustehen, „soweit sie 
die Provinz betreffen.“ Ancillon sah diesmal schärfer. Er warnte: „Durch 
eine solche Dotation der Provinzialstände wird man in der öffentlichen 
Meinung die künftigen allgemeinen Stände dermaßen schon berauben und 
enterben, daß sich daraus ergiebt, die letzteren sollten nie stattfinden.“ Die 
Commission nahm trotzdem den Antrag an, in der arglosen Meinung, die 
bescheidene Befugniß zur Berathung könne wenig schaden. So erhielten 
die Provinzialstände ein hochgefährliches Recht, das ihre Macht nicht ver— 
mehrte, doch die Thätigkeit der Gesetzgebung ins Stocken brachte. Die 
achtfache Berathung mit ständischen Körpern, welche jedes allgemeine Gesetz 
nur vom Standpunkte des Provinzialinteresses beurtheilte, wurde in der 
That „eine Schraube ohne Ende“, wie Savigny im Jahre 1846 klagte. 
Während oft die rechte Hand allzu reichlich spendete, kargte die linke. 
Stein's Gutachten verlangte für die Stände durchaus das Recht ent— 
scheidender Mitwirkung bei allen Provinzialsteuern und Provinzialgesetzen; 
der tapfere Freiherr blieb bei seiner alten Meinung, daß berathende Stände 
in ruhiger Zeit nichts leisten, in bewegter den Versuchungen des Aufruhrs 
schwerlich widerstehen würden. Die Commission ging zuerst auf den Vor— 
schlag ein.) Nachher erwachten doch berechtigte Zweifel. So lange das 
Gegengewicht des Reichstags fehlte, waren mächtige Provinzialstände eine 
Gefahr für die Staatseinheit; unmöglich konnte man ihnen überlassen, ob 
sie eine Last selber tragen oder sie auf den Staat abwälzen wollten. Da- 
her wurde ihnen schließlich auch für Provinzialsachen nur das Recht der 
Berathung zugestanden. Selbst die Befugniß, in Sachen der Provinz 
Bitten und Beschwerden vor den Thron zu bringen, mußte zu unfrucht- 
baren Competenzstreitigkeiten führen, so lange der allgemeine Landtag nicht 
bestand. Denn in diesem festgeschlossenen Einheitsstaate griff fast jede Sorge, 
welche einen Landestheil bedrückte, über die Grenzen der Provinz hinaus. 
Alles in Allem erhielten die Provinzialstände, die man für althistorisch 
ausgab, eine Competenz, welche nur wenig hinausging über die Befugnisse 
der napoleonischen Generalräthe, dieser Musterschöpfungen nivellirender 
Bureaukratie. Wie diese standen sie dem Staats-Beamtenthum nur mit 
unmaßgeblichen Rathschlägen zur Seite. Politische Körper aber, die keine 
wirkliche Verantwortlichkeit für ihr Thun tragen, verwildern entweder oder 
sie verfallen in Schlummer. 
  
*) Vincke, Denkschrift vom 7. Januar 1823.
	        
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