Friese gegen die Provinzialstände. 251
Triumphirend schrieb Gentz, nunmehr seien alle reichsständischen Umtriebe
endgiltig beseitigt; er betrachtete den König von Preußen als den Retter
von Deutschland und Europa und meinte: „Es fehlt diesem Staate nichts
als katholisch zu sein, und er ist neben uns die kräftigste Stütze der Welt.“
Gleich darauf reiste der König zum Veroneser Congreß und übertrug einst—
weilen die Leitung der Staatsgeschäfte dem Kronprinzen, der allerdings
in Berlin unentbehrlich war so lange die ständische Commission noch berieth.
Der Kanzler sah, wie die Gegner ihm über den Kopf wuchsen; welche
Wirksamkeit blieb ihm noch zwischen Voß und dem Kronprinzen? Seine
Kraft war gebrochen, er wagte nicht mehr den Kampf persönlich auf—
zunehmen, räumte den Feinden das Feld und folgte dem Monarchen nach
Verona — zur Freude Wittgenstein's, der insgeheim befürchtete, daß Kron—
prinz und Kanzler sich vielleicht noch verständigen könnten.
Jetzt erst erhielt der Staatskanzler die erste Mittheilung über die
Arbeiten des Verfassungsausschusses. Der König sendete ihm (16. Sept.)
die von der Commission vollendeten Entwürfe, das allgemeine und das
brandenburgische Gesetz, und verlangte sein Urtheil. Im Drange der
Abreise konnte Hardenberg die Antwort nicht mehr selbst beenden, und
veranlaßte den getreuen Friese, das Gutachten auszuarbeiten. Dieser
faßte nun auf Hardenberg's Vortrag in einer Denkschrift vom 2. November
die leitenden Gedanken des alten Hardenbergischen Verfassungsplanes noch-
mals nachdrücklich zusammen..)) Er rieth auf das Bestimmteste zur Ver-
werfung der Commissionsbeschlüsse, zur Ausarbeitung eines neuen Planes,
der von unten nach oben aufsteigend, von den Gemeinden bis zu den
Reichsständen die Gesammtheit der ständischen Institutionen umfassen müsse.
Hauptzweck der Arbeit sei, das Uebergewicht des Adels zu brechen, den
Gegensatz der Stände zu mildern; darum ein ehrliches Drittel für jeden
Stand, darum auch Vertretung aller Stadtbürger, nicht bloß der Grund-
besitzer. Vor allem aber Einführung der Communal= und Kreisordnung
durch königlichen Befehl, nicht durch die Provinzialstände, denn „man baut
ja nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft. Das Aufblühen
oder Hinwelken des preußischen Staates steht in unzertrennlicher Ver-
bindung damit, auf welche Grundsätze die ständische Verfassung basirt und
wie sie eingerichtet wird.“
Also ließ der Reformer von 1810 noch einmal aussprechen, welche
Kluft ihn sein Lebelang von der feudalen Staatsansicht getrennt hatte.
Es war sein politisches Testament. Noch bevor die Denkschrift dem König
zu Händen kam, hatte Hardenberg geendet. Auf dem Congresse von
Verona trat der müde Greis kaum noch hervor; auch die kurzen, ab-
gerissenen Bemerkungen auf den Schlußblättern seines Tagebuchs lassen
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept.; Friese, Denkschrift über die Provinzial-
stände im Allgemeinen und die brandenburgischen Stände insbes., 2. Nov. 1822.