Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Friese gegen die Provinzialstände. 251 
Triumphirend schrieb Gentz, nunmehr seien alle reichsständischen Umtriebe 
endgiltig beseitigt; er betrachtete den König von Preußen als den Retter 
von Deutschland und Europa und meinte: „Es fehlt diesem Staate nichts 
als katholisch zu sein, und er ist neben uns die kräftigste Stütze der Welt.“ 
Gleich darauf reiste der König zum Veroneser Congreß und übertrug einst— 
weilen die Leitung der Staatsgeschäfte dem Kronprinzen, der allerdings 
in Berlin unentbehrlich war so lange die ständische Commission noch berieth. 
Der Kanzler sah, wie die Gegner ihm über den Kopf wuchsen; welche 
Wirksamkeit blieb ihm noch zwischen Voß und dem Kronprinzen? Seine 
Kraft war gebrochen, er wagte nicht mehr den Kampf persönlich auf— 
zunehmen, räumte den Feinden das Feld und folgte dem Monarchen nach 
Verona — zur Freude Wittgenstein's, der insgeheim befürchtete, daß Kron— 
prinz und Kanzler sich vielleicht noch verständigen könnten. 
Jetzt erst erhielt der Staatskanzler die erste Mittheilung über die 
Arbeiten des Verfassungsausschusses. Der König sendete ihm (16. Sept.) 
die von der Commission vollendeten Entwürfe, das allgemeine und das 
brandenburgische Gesetz, und verlangte sein Urtheil. Im Drange der 
Abreise konnte Hardenberg die Antwort nicht mehr selbst beenden, und 
veranlaßte den getreuen Friese, das Gutachten auszuarbeiten. Dieser 
faßte nun auf Hardenberg's Vortrag in einer Denkschrift vom 2. November 
die leitenden Gedanken des alten Hardenbergischen Verfassungsplanes noch- 
mals nachdrücklich zusammen..)) Er rieth auf das Bestimmteste zur Ver- 
werfung der Commissionsbeschlüsse, zur Ausarbeitung eines neuen Planes, 
der von unten nach oben aufsteigend, von den Gemeinden bis zu den 
Reichsständen die Gesammtheit der ständischen Institutionen umfassen müsse. 
Hauptzweck der Arbeit sei, das Uebergewicht des Adels zu brechen, den 
Gegensatz der Stände zu mildern; darum ein ehrliches Drittel für jeden 
Stand, darum auch Vertretung aller Stadtbürger, nicht bloß der Grund- 
besitzer. Vor allem aber Einführung der Communal= und Kreisordnung 
durch königlichen Befehl, nicht durch die Provinzialstände, denn „man baut 
ja nicht für die Vergangenheit, sondern für die Zukunft. Das Aufblühen 
oder Hinwelken des preußischen Staates steht in unzertrennlicher Ver- 
bindung damit, auf welche Grundsätze die ständische Verfassung basirt und 
wie sie eingerichtet wird.“ 
Also ließ der Reformer von 1810 noch einmal aussprechen, welche 
Kluft ihn sein Lebelang von der feudalen Staatsansicht getrennt hatte. 
Es war sein politisches Testament. Noch bevor die Denkschrift dem König 
zu Händen kam, hatte Hardenberg geendet. Auf dem Congresse von 
Verona trat der müde Greis kaum noch hervor; auch die kurzen, ab- 
gerissenen Bemerkungen auf den Schlußblättern seines Tagebuchs lassen 
  
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 16. Sept.; Friese, Denkschrift über die Provinzial- 
stände im Allgemeinen und die brandenburgischen Stände insbes., 2. Nov. 1822.
	        
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