252 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
erkennen, wie seine geistige Kraft ihn nach und nach verließ. Nur das
unwürdige Weib, das schon so viel Jammer über sein graues Haupt
gebracht, verließ ihn nicht; die Schlafwandlerin Friederike reiste ihm in
den Süden nach. Wer könnte es ohne Erschütterung lesen — die letzten
Worte seines Tagebuches lauten: 9. Nov. Arrivée des Kimsky! In
dieser Gesellschaft brach er von Verona auf um die Riviera zu bereisen.
Als die Wagen bei dem Leuchtthurm von Genua anlangten, an jener
Biegung des Strandes, wo sich plötzlich der Ausblick öffnet auf das weite
Halbrund des Hafens und die stolz aufsteigende Stadt darüber, da gab
sich die Liebenswürdigkeit des Greises, seine jugendliche Freude an allem
Schönen noch einmal in bewegten Worten kund. Er konnte sich von dem
grandiosen Anblick lange nicht trennen und sagte, ein schöneres Schau-
spiel habe er in seinem langen Leben nie genossen. Einige Stunden darauf
lag er auf dem Krankenbette und verschied nach kurzem Leiden am
26. November.
Er starb zu spät für seinen Ruhm. Den Reaktionären verhaßt, den
Conservativen verdächtig, hatte er auch bei den Liberalen, die zudem von
dem Ernst seiner Verfassungsarbeit nichts wußten, durch den Kleinmuth
seiner letzten Lebensjahre alles Ansehen eingebüßt. Fast Niemand fühlte,
wie traurig es doch war, daß der Strom eines großen Lebens so still im
Sande verlaufen mußte. Der König bekundete in der Gesetzsammlung
öffentlich sein Bedauern über den Heimgang des Staatsverwesers, dessen
Andenken stets erhalten bleiben werde, wie auch Gentz im Oesterreichischen
Beobachter die pflichtschuldigen amtlichen Harfenklänge ertönen ließ. In
seinem Herzen hatte Friedrich Wilhelm mit dem Manne, der ihm einst so
nahe gestanden, längst gebrochen; er nahm die Todesnachricht so gleichgiltig
auf, daß seine Umgebung den wohlwollenden Fürsten kaum wiedererkannte
und Wittgenstein zu dem jungen Grafen Redern sagte: hier möge er
lernen, wie Könige über Menschen dächten.) Nur der treue Stägemann
wollte nicht vergessen was seine Brennen — so nannte er die Preußen —
diesem Todten dankten, und sang:
Du aber schweigst, Posaune der Klio, nicht.
Du legst dich purpurn über die stille Gruft,
Der Brennen-Zukunft reicher Teppich,
Dran er, ein Meister, gewoben immer.
Und wahrlich, so viele Fäden wie Hardenberg hatten bisher wohl ein-
zelne große Monarchen, aber noch niemals ein Unterthan in das Schicksals-
gewebe dieses Staates eingeschlungen. Klang es nicht wie ein Märchen,
daß er wirklich nur zwölf Jahre lang an der Spitze der Verwaltung ge-
standen hatte? Welche Fülle von Thaten drängte sich in der kurzen Frist
seiner Kanzlerschaft zusammen: erst der Umsturz der feudalen Gesellschafts-
*) Nach mündlichen Erzählungen des Grafen Redern.