Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Spanisch-französische Verwicklung. 263 
Revolution einst die Spanier nicht hatte bezwingen können, dem Erben 
des heiligen Ludwig war ein leichter Sieg gewiß! Umsonst bemühte sich 
der kluge, behutsame Villele diesen blinden Eifer zu bändigen; ein Theil 
seiner eigenen Amtsgenossen stand den Plänen der Kriegspartei nahe, der 
Minister des Auswärtigen Montmorency unterhielt diplomatischen Ver- 
kehr zugleich mit der Madrider Cortes-Regierung und mit der Regentschaft 
von Urgel. Schon seit dem Herbst 1821 stand ein kleines Heer an der 
Pyrenäengrenze um die Einschleppung des gelben Fiebers zu verhindern. 
Die Truppen blieben versammelt auch als die Krankheit längst erloschen 
war; sie wurden nach und nach verstärkt, sie nahmen die Guerillas des 
Glaubensheeres, die vor den Regimentern des Generals Mina nordwärts 
flohen, gastlich auf und erlaubten ihnen sich zu neuem Kampfe zu rüsten. 
So verletzte der Staat, der sich als Wahrer der Legitimität gebärdete, 
Tag für Tag die Gesetze des Völkerrechtes, und da Mina mit den Truppen 
der Cortes zuletzt überall siegreich blieb, so ward ein Krieg zwischen den 
beiden Nachbarmächten immer wahrscheinlicher. 
In diesem erwartungsvollen Augenblicke vollzog sich am englischen 
Hofe eine folgenreiche Wendung. Kurz vor dem Zusammentritt des 
Veroneser Congresses, am 13. August, entleibte sich Graf Londonderry in 
einem Anfall von Schwermuth, und mit aufrichtigem Kummer betrauerte 
Metternich den Unersetzlichen, „mein anderes Ich“. Lord Liverpool aber 
fühlte längst, daß die traurige Mittelmäßigkeit seines Cabinets einer Auf- 
frischung, die Hartköpfigkeit der Hochtorys einer Milderung bedurfte; er 
entschloß sich daher, an die Stelle des Verstorbenen Georg Canning zu 
berufen, den freiesten und geistreichsten Kopf der Torypartei, der dem König 
Georg und dem Wiener Hofe gleich verdächtig war. So zog denn endlich 
wieder ein entschlossener Vertreter englischer Interessen= und Handelspolitik 
in die Säle von Downing-Street ein, während alle anderen Großmächte 
den Doktrinen der Revolution nur einen ebenso unfruchtbaren conservativen 
Doktrinarismus entgegenzusetzen wußten. Von Jugend an lebte Canning 
dem einen Gedanken der Macht Alt-Englands. Schon in dem Kriege 
gegen das revolutionäre Frankreich sah er nicht wie Burke einen Principien= 
krieg, sondern einen Kampf um die britische Seeherrschaft; ihm war es 
nur ein Mittel zum Zweck, wenn er in den Spalten seiner antijacobini- 
schen Zeitschrift die Ideen der Revolution mit blendendem Witz verspottete. 
Ganz unbedenklich befahl er nachher, als Mitglied des Ministeriums 
Portland, mitten im Frieden den Raubzug gegen Kopenhagen, weil die 
Interessen des englischen Handels diesen Gewaltstreich geboten, und 
ebenso unbedenklich versprach er den spanischen Junten seinen Beistand 
wider Napoleon. Durch leidige Mißverständnisse und persönliche Händel 
ward er dann, eben in der Zeit da sein Ehrgeiz leidenschaftlich nach dem 
Besitze der Macht verlangte, aus dem Cabinet verdrängt und mußte grollend 
mit ansehen, wie kleinere Leute die Früchte seiner thatkräftigen Staatskunst
	        
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