Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

264 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
ernteten und Castlereagh das siegreiche England auf den Friedenscongressen 
vertrat. Jetzt endlich, nach langen Jahren mißmuthigen Harrens, gewährte 
ihm das Schicksal die Genugthuung, daß er die halbverlorene Selbständigkeit 
der englischen Politik wiederherstellen, den starren Bund der Großmächte 
zersprengen und mit fünf Jahren glänzender Erfolge seine staatsmännische 
Laufbahn ruhmvoll abschließen sollte. 
In der inneren Politik blieb er immer conservativ; denn obwohl er 
die Vorurtheile der steifen Hochtorys weit übersah, obwohl er als Halb- 
Irländer die Emancipation der Katholiken lebhaft betrieb und auch der 
Milderung der harten Zollgesetze günstig war, so verwarf er doch unbedingt 
den neuen Gedanken, um den sich die Whigpartei wieder zu sammeln 
begann, den Gedanken der Parlamentsreform. Nichts schien ihm gefähr- 
licher für die Schlagkraft der britischen Politik als eine wirkliche Volks- 
vertretung im Unterhause. Aber wie für sein England so verlangte er 
auch für jede andere Nation das Recht nach ihrer Eigenart zu leben, falls 
sie nur den englischen Handel nicht störte. Und dieser Handel gedieh dann 
am sichersten, wenn das Festland nie zur Ruhe kam, wenn die wirth- 
schaftliche Spannkraft seiner Völker durch bürgerliche Kämpfe gelähmt 
wurde; um so ungestörter konnte dann die glückliche Insel die Meeres- 
herrschaft, die ihr als ein natürliches Recht galt, erweitern. Der weltbürger- 
lichen Doktrin des legitimen Fürstenrechts stellte Canning fest und sicher 
den nüchternen Satz entgegen: „die Harmonie der politischen Welt wird 
durch die Mannigfaltigkeit der Staatsformen so wenig gestört wie die 
Harmonie der physischen Welt durch die verschiedene Größe der Planeten." 
Den Spaniern gegenüber befolgte er den nämlichen Grundsatz, welchen 
Londonderry noch in einer hinterlassenen Instruktion ausgesprochen hatte: 
niemals dürfe England dem Pariser Hofe den Einmarsch in Spanien, 
den beherrschenden Einfluß auf der iberischen Halbinsel gestatten. Aber 
wie viel günstiger als vor'm Jahre war jetzt Englands Stellung. 
In Troppau und Leibach hatte Castlereagh allein mit dem linken 
Arme gefochten, da er die Einmischung Oesterreichs in die italienischen 
Händel selber lebhaft wünschte und nur die doktrinären Manifeste der 
Ostmächte mißbilligte. In der spanischen Frage dagegen konnte Canning 
ohne Vorbehalt ein kaltes Nein sprechen, und er war dazu um so fester ent- 
schlossen, da er das große europäische Bündniß mit vollkommener Gemüths- 
freiheit beurtheilte. Londonderry hätte niemals den Muth gefunden sich 
von der großen Allianz förmlich loszusagen; sein Nachfolger betrachtete sie als 
eine Fessel für England, zumal seit sie, ihrem ursprünglichen Zwecke zuwider, 
sich nur noch mit der polizeilichen Ueberwachung Europas beschäftigte. 
Während sein Vorgänger in freundschaftlicher Ehrfurcht zu Metternich 
emporgeblickt hatte, war Canning der erste Staatsmann dieses Zeitalters, 
der die Nichtigkeit des großen Wiener Zauberers durchschaute. Sobald 
er die Schlangenwindungen der Metternich'schen Politik eine Weile ver-
	        
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