Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Sturz Wangenheim's und Wintzingerode's. 321 
mächte zu bleiben, jedoch das eisige Stillschweigen der drei beleidigten Höfe 
beunruhigte ihn dermaßen, daß er schon im Juli die Abberufung Wangen- 
heim's beschloß. Offen zu handeln, eine Uebereilung freimüthig ein- 
zugestehen war seinem Charakter unmöglich. Er nahm jene berüchtigte 
Denkschrift Wangenheim's über die westphälischen Domänenkäufer zum 
Vorwand und ließ überall erklären: nur deshalb, aber keineswegs um den 
Großmächten eine Genugthuung zu geben sei der Bundesgesandte zurück- 
gerufen worden. Die Folge war, daß der diplomatische Verkehr abgebrochen 
blieb. Wangenheim aber, der selber seinen Sturz so lange vorausgesehen, 
zeigte nunmehr, da das Unvermeidliche eintrat, seine ganze leidenschaft- 
liche Heftigkeit; er beschuldigte Wintzingerode des Verraths, obgleich der 
Minister ihn so lange als möglich und noch darüber hinaus beschützt hatte, 
er brach gänzlich mit dem alten Freunde und ließ ihn auf eine briefliche 
Anfrage wissen: „zu jeder Antwort mit der Hand“ sei er bereit..) Im 
Spätsommer ging der König nach Italien und mußte unterwegs an tausend 
kleinen Kränkungen erfahren, daß in diesen Tagen selbst ein gekröntes 
Haupt, wenn es den Zorn der Hofburg auf sich geladen, wie geächtet in 
der Welt stand. Alle Höfe waren durch die Ostmächte vor dem liberalen 
Schwabenkönige gewarnt worden, und mit legitimistischem Tugendeifer 
schrieb der junge Bunsen aus Rom, nachdem er den Cardinal Consalvi 
aufgeklärt: „Es bedarf keiner Bemerkung, daß der Lügengeist des Jaco- 
binismus auch hier thätig gewesen ist, über die Motive der Allerhöchsten 
Höfe bei diesem strafenden Schritte die absurdesten und falschesten Ge- 
rüchte mit der ihm innewohnenden Frechheit zu verbreiten.““) 
Als der König, in seinem Stolz tief verwundet, heimkehrte, fand er 
bereits das Entlassungsgesuch Wintzingerode's vor. Nur allzu treu war 
dieser Vielbewegliche allen Windungen und Wendungen einer Politik, die 
er mißbilligte, gefolgt; jetzt hatte er es mit allen Parteien verdorben. Den 
Großmächten blieb er trotz seiner conservativen Gesinnung verdächtig, da 
sein Name unter dem verhängnißvollen Rundschreiben stand, die Liberalen 
aber wollten ihm Wangenheim's Sturz nicht verzeihen. „Was!"“ rief er ver- 
zweifelt, „was ist das für ein Gang eines Gouvernements, welches vorwärts 
stürzt, ohne Noth verletzt und zurückweichen muß, wenn es einem Hinder- 
niß begegnet!“ Persönliche Klatscherei, die in Stuttgart noch üppiger blühte 
als an andern kleinen Höfen, stachelte auch den König wider ihn auf“) 
und am 2. Okt. wurde der Minister, der doch stets nur die Befehle seines 
königlichen Herrn vollzogen hatte, in Ungnaden verabschiedet. Ergrimmt 
über den schnöden Undank, ließ sich der Entlassene zu einem Rachestreiche 
hinreißen. Er schrieb in den Pariser Constitutionel einen von Bosheit 
  
*) Wangenheim an Hartmann, 19. Dec. 1823. 
**) Bunsen's Bericht, 12. Juli 1823. 
*"4) Wintzingerode an Graf Mülinen, 28. Nov.; Mülinen's Antwort, 4. Dec. 1823. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 21
	        
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