Metternich in Tegernsee. 335
Sophie verloben sollte; um des österreichischen Bündnisses willen hatte
sich der zärtliche Vater doch entschlossen, die Hand der schönen und klugen
Prinzessin diesem von der Natur gar stiefmütterlich behandelten zweiten
Sohne des Kaisers Franz zu schenken. Während die fürstlichen Herr—
schaften ihr glänzendes Familienfest feierten, unterhandelte Metternich ins—
geheim mit Rechberg, Wrede, Zentner, und legte ihnen zunächst die Denk—
schrift Münch's vor. Vorsichtig warf der Oesterreicher sodann die Frage
auf, ob nicht bei dieser Gelegenheit auch die dringend nöthige Abänderung
der neuen Landesverfassungen von Bundeswegen versucht werden könne.
Der Anlaß zu dieser Frage kam wieder von dem unverbesserlich reaktio-
nären badischen Hofe. Während der jüngsten Monate hatten die Ultras
in Karlsruhe nicht aufgehört, ihrem Wiener Beschützer die Befestigung
des monarchischen Princips, die Schließung der Zuhörertribünen in den
Kammern, die Aufhebung der akademischen Gerichtsbarkeit ans Herz zu
legen; im Januar war Berstett selbst nach Frankfurt geeilt um mit Münch
wegen der Bändigung des badischen Landtags zu verhandeln.) Zu
Metternich's freudiger Ueberraschung nahm nicht bloß Rechberg diese Er-
öffnungen freundlich auf, sondern auch Zentner. Derselbe Mann, der vor
kaum fünf Jahren die Karlsbader Beschlüsse so eifrig bekämpft hatte, hielt
jetzt ihre Verlängerung für dringend nöthig. So unwiderstehlich riß die
reaktionäre Strömung der Zeit auch die Besonnenen mit sich fort. Alle
leitenden Staatsmänner Deutschlands, bis auf verschwindende Ausnahmen,
bekannten sich nunmehr offen zu Gentz's frechem Ausspruch: „das oberste
Gesetz des europäischen Staates heißt Censur.“ Allen erschien es ruchlos,
unbegreiflich, daß die auf den Schlachtfeldern Südeuropas unterlegene
Revolution noch immer lebte, daß die geschlagene Partei noch zu reden
wagte und die Todten — so höhnte Gentz — wie Banquo's Schatten die
Lebendigen von ihren Stühlen trieben. In eine tiefgreifende Umgestaltung
der Landesverfassungen wollte Zentner allerdings nicht willigen, doch die
Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen — „dieses erste und in seinen
täglichen Ausbrüchen größte aller neueren Uebel“, wie Metternich sich aus-
drückte — hielt auch er für verderblich, und auf das Andringen des
Oesterreichers legte er endlich (28. Mai) seine Vorschläge in einem Auf-
satze nieder, welcher die kühnsten Hoffnungen der Hofburg übertraf.)
Die Denkschrift verlangte, daß Oesterreich in einem Präsidialvortrage
dem Bundestage die „bei scheinbarer äußerer Ruhe“ noch fortwährende
bedrohliche Thätigkeit der revolutionären Parteien darstellen und darauf-
hin die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, soweit sie nicht ohnedies
*) Berstett an Metternich, 5. April 1824. u. s. w.; Küster's Berichte, 8., 22. Jan. 1824.
*“) Zentner's Denkschrift steht wortgetreu abgedruckt in Ilse's Gesch. d. d. Bundes-
versammlung II, 341. Das Schriftstück hingegen, welches in Metternich's hinterlassenen
Papieren IV, 120 fälschlich für Zentner's Arbeit ausgegeben wird, ist in Wahrheit — das
Promemoria Münch-Bellinghausen's vom 6. Jan. 1824. Näheres in Beilage 12.