Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Metternich in Tegernsee. 335 
Sophie verloben sollte; um des österreichischen Bündnisses willen hatte 
sich der zärtliche Vater doch entschlossen, die Hand der schönen und klugen 
Prinzessin diesem von der Natur gar stiefmütterlich behandelten zweiten 
Sohne des Kaisers Franz zu schenken. Während die fürstlichen Herr— 
schaften ihr glänzendes Familienfest feierten, unterhandelte Metternich ins— 
geheim mit Rechberg, Wrede, Zentner, und legte ihnen zunächst die Denk— 
schrift Münch's vor. Vorsichtig warf der Oesterreicher sodann die Frage 
auf, ob nicht bei dieser Gelegenheit auch die dringend nöthige Abänderung 
der neuen Landesverfassungen von Bundeswegen versucht werden könne. 
Der Anlaß zu dieser Frage kam wieder von dem unverbesserlich reaktio- 
nären badischen Hofe. Während der jüngsten Monate hatten die Ultras 
in Karlsruhe nicht aufgehört, ihrem Wiener Beschützer die Befestigung 
des monarchischen Princips, die Schließung der Zuhörertribünen in den 
Kammern, die Aufhebung der akademischen Gerichtsbarkeit ans Herz zu 
legen; im Januar war Berstett selbst nach Frankfurt geeilt um mit Münch 
wegen der Bändigung des badischen Landtags zu verhandeln.) Zu 
Metternich's freudiger Ueberraschung nahm nicht bloß Rechberg diese Er- 
öffnungen freundlich auf, sondern auch Zentner. Derselbe Mann, der vor 
kaum fünf Jahren die Karlsbader Beschlüsse so eifrig bekämpft hatte, hielt 
jetzt ihre Verlängerung für dringend nöthig. So unwiderstehlich riß die 
reaktionäre Strömung der Zeit auch die Besonnenen mit sich fort. Alle 
leitenden Staatsmänner Deutschlands, bis auf verschwindende Ausnahmen, 
bekannten sich nunmehr offen zu Gentz's frechem Ausspruch: „das oberste 
Gesetz des europäischen Staates heißt Censur.“ Allen erschien es ruchlos, 
unbegreiflich, daß die auf den Schlachtfeldern Südeuropas unterlegene 
Revolution noch immer lebte, daß die geschlagene Partei noch zu reden 
wagte und die Todten — so höhnte Gentz — wie Banquo's Schatten die 
Lebendigen von ihren Stühlen trieben. In eine tiefgreifende Umgestaltung 
der Landesverfassungen wollte Zentner allerdings nicht willigen, doch die 
Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen — „dieses erste und in seinen 
täglichen Ausbrüchen größte aller neueren Uebel“, wie Metternich sich aus- 
drückte — hielt auch er für verderblich, und auf das Andringen des 
Oesterreichers legte er endlich (28. Mai) seine Vorschläge in einem Auf- 
satze nieder, welcher die kühnsten Hoffnungen der Hofburg übertraf.) 
Die Denkschrift verlangte, daß Oesterreich in einem Präsidialvortrage 
dem Bundestage die „bei scheinbarer äußerer Ruhe“ noch fortwährende 
bedrohliche Thätigkeit der revolutionären Parteien darstellen und darauf- 
hin die Verlängerung der Karlsbader Beschlüsse, soweit sie nicht ohnedies 
  
*) Berstett an Metternich, 5. April 1824. u. s. w.; Küster's Berichte, 8., 22. Jan. 1824. 
*“) Zentner's Denkschrift steht wortgetreu abgedruckt in Ilse's Gesch. d. d. Bundes- 
versammlung II, 341. Das Schriftstück hingegen, welches in Metternich's hinterlassenen 
Papieren IV, 120 fälschlich für Zentner's Arbeit ausgegeben wird, ist in Wahrheit — das 
Promemoria Münch-Bellinghausen's vom 6. Jan. 1824. Näheres in Beilage 12.
	        
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