Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

382 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
gann man schon zu befürchten, der kernhafte alte Bauernstand würde 
bald gänzlich ausgekauft sein. Darum verlangte die Regierung das Gut- 
achten der Landstände über einige beschränkende Maßregeln: sie dachte 
das Zerschlagen der Bauerngüter fortan nur mit Zustimmung der Ge- 
meinde und nur bis zu einer gewissen Grenze zu gestatten, auch sollte 
dem Erben sein Hof, nach den Grundsätzen des alten Anerbenrechts, zu 
einem niedrigen Preise angerechnet werden. Aber nur wenige Landtage 
antworteten zustimmend; am willigsten die Westphalen, denn dort im 
Lande der großen Bauernhöfe war fast Jedermann — Vincke so gut wie 
Stein, der Adel so gut wie die Bauerschaft — von der Nothwendigkeit 
der gebundenen Erbfolge überzeugt. In den alten Provinzen hingegen 
äußerten sich die Bauern sehr unwirsch: nur die Sitte, nicht der Staat 
dürfe ihnen die freie Verfügung über ihr Eigen beengen. Also scheiterten 
die wohlgemeinten, freilich noch ganz unreifen Reformgedanken an einem 
Widerstande, der liberal schien, aber in Wahrheit aus mißtrauischem 
Bauerntrotz entsprang, und erst in einer weit späteren Zeit sollten sie 
tiefer durchdacht wiederkehren. 
Wie fern lag diesen hochconservativen Körperschaften das Bestreben, 
sich gleich den süddeutschen Landtagen belebend und belebt mit der öffent- 
lichen Meinung zu berühren. Bald genug fühlten sie sich wohl in der 
Heimlichkeit ihrer Berathungen und bewachten das Geheimniß noch ängst- 
licher als die Regierung selbst. Als die schlesischen Stände im Jahre 1829 arg 
übertreibend wegen der Ueberbürdung ihrer Provinz klagten, schrieb der 
Finanzminister Motz eine gründliche Widerlegung, die mit dem Landtags- 
abschiede veröffentlicht wurde und in der Presse verdiente Anerkennung 
fand. Der Landtag aber fühlte sich durch den Tadel, der in diesem Lobe 
lag, tief beleidigt, er erhob Beschwerde in Berlin und mußte von dem 
Könige die beschämende Zurechtweisung hinnehmen: die Krone selbst ge- 
statte den Zeitungen eine freimüthige und anständige Kritik über ihre 
eigenen Beschlüsse, auch die getreuen Stände sollten lernen sich daran zu 
gewöhnen. — 
Dieselbe zähe Anhänglichkeit an den alten Landesbrauch, die auf den 
Provinziallandtagen des Ostens vorherrschte, führte auch im Düsseldorfer 
Ständesaale das große Wort: nur trug der Particularismus hier eine 
liberale Färbung, weil das rheinische Landesrecht der Revolution entstammte. 
Der Bestand der napoleonischen Gesetzgebung war neuerdings zum zweiten 
male ernstlich gefährdet, da ein gräßliches Ereigniß, das die Rheinländer 
schon seit dem Jahre 1816 in Athem hielt, den Gegnern des rheinischen 
Rechts neue Waffen in die Hand gab. Seit jener Zeit schon bezichtigte 
das allgemeine Gerücht den Kölner Kaufmann Fonk der Ermordung eines 
Handlungsdieners Cönen, dessen Leiche man damals im Rhein gefunden 
hatte. Fonk wurde zweimal verhaftet, zweimal nach langer Untersuchung 
frei gegeben, er verschmähte die Flucht über die nahe belgische Grenze. Das
	        
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