Proceß Fonk. 383
erbitterte Volk aber ließ nicht von ihm ab. Jener unruhige Drang nach
nervöser Aufregung, der dem modernen Geschlechte so tief im Blute liegt und
in dem stillen politischen Leben der Zeit keine Nahrung fand, bemächtigte sich
des Processes Fonk und spielte mit abenteuerlichen Erfindungen, ganz wie
späterhin als die räthselhafte Erscheinung Kaspar Hauser's auftauchte.
Das unheimliche, wie mit einem Kainszeichen gebrandmarkte Gesicht des
Beschuldigten schien die vorhandenen Verdachtsgründe zu bestätigen; der
Argwohn der kleinen Leute wider die Reichen wirkte mit, in den pro—
testantischen Städten am Niederrhein wohl auch der confessionelle Haß
gegen den Neffen des clericalen Aachener Generalvicars Fonk. Genug,
fast alle Rheinländer glaubten an Fonk's Schuld, die Schulkinder sangen
Gassenhauer auf den unbestraften Mörder, die öffentliche Stimme äußerte
sich mit solcher Macht, daß die Behörden die Untersuchung wieder auf—
nahmen. Zum dritten male verhaftet wurde Fonk, sechs Jahre nach der
Auffindung des Leichnams, endlich vor die Assisen in Trier gestellt.
Ob die Volksmeinung das Rechte traf, ist bis zur heutigen Stunde
noch völlig zweifelhaft; um so gewisser dagegen, daß alle Gebrechen des
Schwurgerichts, alle die bureaukratischen Mißbräuche des französischen Ver—
fahrens bei dieser Verhandlung häßlich zu Tage traten. Nach jeder Sitzung
wurden die Geschworenen in den Weinhäusern von den aufgeregten Massen
bearbeitet; unter den Zeugen spielten die Moutons, die berüchtigten Gefäng-
nißspione der französischen Polizei, eine sehr widerwärtige Rolle; der Ge—
neraladvocat v. Sandt, derselbe, der sich in den rheinischen Wahlkämpfen
hervorthat, betrieb die Anklage mit unziemlicher Gehässigkeit und veröffent—
lichte noch vor der Entscheidung eine Druckschrift darüber; auch der Prä—
sident mißbrauchte die schrankenlose Gewalt, die ihm das französische
Gesetzbuch einräumte, zu mannigfacher Einschüchterung. Als die Ge—
schworenen, trotz der höchst mangelhaften Beweise, ihr Schuldig sprachen,
ging ein Ruf des Jubels durch das rheinische Land; in einzelnen Städten
veranstaltete man geradezu Freudenfeste; das Gewissen des Volkes war
befriedigt. Benzenberg aber, der sich von den Stimmungen seiner Lands—
leute so leicht nicht fortreißen ließ, schrieb dem Staatskanzler: an diesem
Wahrspruch werde das rheinische Schwurgericht zu Grunde gehen.
In der That erweckte das Todesurtheil außerhalb der Provinz fast
überall Entrüstung. Der Göttinger Jurist Kobbe sendete alsbald eine
scharfe Kritik an Hardenberg, Berufene und Unberufene stürzten sich in
den Federkrieg.“) Auch Helmine v. Chezy drängte sich vor, die Enkelin der
Karschin, eines jener fürchterlichen literarischen Frauenzimmer, die ihre
Mitmenschen bald durch Verse, bald durch Nächstenliebe zu mißhandeln
pflegen. Mit Schadenfreude sah das reaktionäre Lager diesen Kämpfen
*) Benzenberg an Hardenberg, 12. Juli, 25. Novemb.; Hardenberg an Kircheisen,
3. Aug.; Kobbe an Hardenberg, 18. Juli 1822.