392 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
faltigen Arbeiten und Plänen ihres geistreichen Gatten folgte sie mit liebe—
vollem Verständniß; bei ihrer Sanftmuth, ihrer immer gleichen ruhigen
Heiterkeit suchte der Reizbare Trost und Erquickung. So gewann sie nach
und nach eine stille Gewalt über sein unstetes Gemüth und bestärkte ihn
unwillkürlich in seiner romantischen, hochconservativen Staatsanschauung,
obgleich sie sich niemals mit Staatsgeschäften befaßte. Die „bourbonischen
Ansichten“ der bairischen Königstöchter waren allen befreundeten Höfen
wohlbekannt. Mit ihrem elterlichen Hause, mit ihren in Oesterreich und
Sachsen verheiratheten Schwestern blieb die Prinzessin in zärtlicher Liebe
verbunden und vermochte den Gedanken gar nicht zu fassen, daß die deutsche
Politik sich je verändern, daß Preußen mit diesen so nahe befreundeten Höfen
jemals in Kampf gerathen könne. Auch als sie, mehrere Jahre nach der
Hochzeit, zur evangelischen Kirche übergetreten war, bewahrte sie ihrem
alten Glauben noch ein Gefühl weiblicher Treue, und aus der innigen
Seelengemeinschaft dieser Ehe ergab es sich ganz von selbst, daß der Kron—
prinz, wie tief er auch von der Wahrheit des evangelischen Christenthums
durchdrungen blieb, doch den Herrschaftsansprüchen der römischen Kirche
mit den Jahren immer williger entgegenkam.
Da die Ehe des Kronprinzen kinderlos blieb, so mußte man bereits
mit der Möglichkeit rechnen, daß die Krone dereinst auf den Prinzen
Wilhelm übergehen könne. An diesem zweiten Sohne erlebte der König
die Freude, die jedem Vater die liebste ist: er sah in ihm ein helleres Ab—
bild seines eigenen Wesens. Ebenso schlicht, verständig und pflichtgetreu,
nur ungleich heiterer, entschlossener, frischer als sein Vater, war der ritter—
liche junge Prinz jetzt schon die Hoffnung der Armee, ein geborener Heer—
führer, streng und gütig zugleich, wie es dem Soldatenherzen wohlthut;
Offiziere und Mannschaften gingen für ihn durchs Feuer. Sein Vater
hatte ihn ganz zum Soldaten erziehen lassen, da die unkriegerische Natur
des Kronprinzen sich bald offenbarte. Prinz Wilhelm widmete sich seinen
militärischen Aufgaben mit anhaltendem Eifer; er führte gleichzeitig zwei
große Commandos, über das brandenburgische Armeecorps und über eine
Gardedivision. Von seiner politischen Gesinnung wußte man bisher nur,
daß er von dem Berufe des unbeschränkten preußischen Königthums sehr
hoch dachte und sich durchaus als zweiter Unterthan seines Vaters fühlte.
Er lebte und webte in den Ueberlieferungen des Befreiungskrieges und er-
wies den Helden jener großen Zeit herzliche Verehrung, auch dem bei Hofe
arg verlästerten greisen York; die Flüsterreden der Verleumder fochten sein
freies Gemüth nicht an. Gleich seinem Vater betrachtete er den Bund
der Ostmächte als die Bürgschaft des Völkerfriedens, und gleich ihm gab er
den Russen vor den Oesterreichern den Vorzug; mit ihnen hatte er einst
seinen ersten Waffengang gethan, und seit er seine Lieblingsschwester, die
Großfürstin Charlotte, auf ihrer Vermählungsreise begleitet, blieb er mit
dem Petersburger Hofe in vertraulichem Verkehr.