Widerstand der Altlutheraner. 401
Dort lehrte Scheibel, ein Geistlicher von hartem Kopfe und gläubigem
Herzen, der völlig unberührt von den Ideen der neuen theologischen
Wissenschaft, noch ganz im Stile der Flacius und Heshusius den reformirten
Cultus als Isisdienst verdammte und den Anordnungen des heidnischen
Kirchenregiments mit der unbelehrbaren Zanksucht des berufenen Zions—
wächters, ja mit offenbarem Hohne widersprach. Neben ihm stand der
Jurist Huschke, ein phantastischer Grübler, und der ruhelose Steffens, der
in einer Schrift über den wahren Glauben die Unfehlbarkeit seines harten
skandinavischen Lutherthums vertheidigte.
Dem Bestande der Landeskirche konnte diese so bunt gemischte Oppo—
sition nicht gefährlich werden, wenn das Kirchenregiment duldsam genug
war, Allen, die sich nicht von freien Stücken zur Annahme der Agende
verstehen wollten, den Austritt frei zu stellen. Altenstein aber verharrte,
gleich seinem Könige, unwandelbar bei der alten territorialistischen Rechts—
ansicht, wonach jeder preußische Protestant der Landeskirche angehören mußte.
Das Verständniß für die Energie der streng-kirchlichen Gesinnung fehlte
dem aufgeklärten Minister gänzlich; an seinem gastlichen Tische wurde zu-
weilen kühl die Frage erörtert, ob das Christenthum noch zwanzig oder
fünfzig Jahre dauern werde. Ihm war es genug, wenn das religiöse
Gefühl ein gewisses anständiges Mittelmaß nicht überschritt, und er glaubte
nur den öffentlichen Frieden zu wahren, als er (1825) eine scharfe Ver-
fügung wider die „verkehrten und unstatthaften“ Richtungen des Pietismus,
Mysticismus und Separatismus erließ. Wie dankbar hatte einst die
öffentliche Meinung noch in Friedrich Wilhelm's ersten Regierungsjahren
ähnliche Aeußerungen der aufgeklärten Gesinnung des Monarchen hin-
genommen. Jetzt erregte die wohlgemeinte Warnung des Ministers
selbst unter Männern, welche seine Ansicht theilten, gerechtes Befremden.
Solche meisternde Eingriffe der Staatsgewalt in das innere Leben der
Kirche vertrug die Zeit nicht mehr. Es blieb ein unlösbarer Widerspruch,
daß ein Staat, der einst zu zwei Fünfteln katholisches Volk beherrschte und
allen Confessionen gerecht werden wollte, gleichwohl seinen Protestanten
vorschrieb, in welchem Sinne sie die Heilswahrheiten ihres Glaubens zu
verstehen hätten.
Die nämlichen Waffen einer veralteten Kirchenpolitik benutzte Alten-
stein auch um die Agende durchzusetzen. Gewiß beabsichtigte der philoso-
phische Minister ebenso wenig wie sein frommer Monarch irgend eine
Bedrückung der Gewissen; aber da die Kirche noch keine geordnete Ge-
meindevertretung besaß, so lag das Schicksal der Agende zunächst in der
Hand der Geistlichen, und diese waren — Altenstein wußte es nicht anders —
seine Untergebenen. Auch der König hielt scharfe Vermahnungen für
erlaubt, denn die böswillige Verdächtigung seiner evangelischen Glaubens-
treue kränkte ihn in tiefster Seele. Er sah nicht, wie heiße Thränen
um dieser Agende willen flossen; seine weltklugen Hofbischöfe Cylert und
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. Ul. 20