Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Landwehr. 421 
ist ganz etwas anderes als der Complexus aller seiner Theile. Daraus 
folgt, was ich für den ersten aller Verwaltungsgrundsätze ansehe, daß die 
Verwaltung von ihrem höchsten Punkt bis zum untersten eine ununter— 
brochene Reihe bilden und die oberste Hand noch in dem untersten Druck 
fühlbar sein muß. Wo das nicht ist kann man weder für die Güte der 
Normen noch für die der Ausführung stehen. Der politische Ausdruck 
der Einheit aber ist die Subordination; wo in einer Reihe Coordination 
eintritt, da sind zwei und nicht mehr eins.““) — 
Ebenso glücklich wie die neue Verwaltungsorganisation bestand auch 
das Wehrgesetz alle Anfechtungen. Seit den Soldatenrevolutionen Süd- 
europas betrachteten die fremden Höfe das preußische Volksheer noch arg- 
wöhnischer denn zuvor. So oft der König mit fremden Souveränen 
zusammentraf, bekam er freundschaftliche Warnungen zu hören. Wenn 
fremde Offiziere den preußischen Manövern beiwohnten, dann zeigten sie 
selten ein Verständniß für den kriegerischen Geist dieses Volks in Waffen, 
und manche erzählten daheim arge Märchen von der demokratischen Zucht- 
losigkeit der Landwehr. Im Lande selbst dagegen verstummte allmählich 
jeder Widerspruch; der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht war dem 
Volke in Fleisch und Blut gedrungen. Der König gab um das Jahr 
1824 seine letzten Bedenken auf, nachdem er sich mehrmals persönlich von 
den achtungswerthen Leistungen der Landwehr überzeugt hatte; und seine 
Generale stimmten nach und nach alle darin überein, daß der Staat nur 
durch das Landwehrsystem seine Stellung unter den großen Militärmächten 
behaupten könne. Kaum minder lebhaft als Gneisenau vertheidigte sein 
alter Gegner Müffling die Ideen Scharnhorst's. Fragen Sie England, 
Frankreich, Oesterreich, Rußland, ob man uns bezwingen wolle — schrieb 
er dem Prinzen August — so werden sie antworten: „daß ein Krieg mit 
uns ein höchst gewagtes Spiel ist, weil wir nichts anderes mehr führen 
können als Nationalkriege. Freilich mag es den Herren unbequem sein 
sich sagen zu müssen, das kleine unbedeutende Preußen wäre so leicht zu 
bewehren. Von dem Tage, an welchem wir unser Landwehrsystem in 
ein Beurlaubtensystem umwandeln sollten, sinkt der preußische Staat in 
die Kategorie jedes anderen Staates herab, der 50 Mill. Thlr. Einnahmen 
hat, während er jetzt auf einer ganz unberechenbaren Höhe steht, da keine 
von allen uns umgebenden Nationen fähig ist, das Landwehrsystem in 
seinem ganzen moralischen Umfange einzuführen.“) 
Aber wie unfertig war dies System noch in seiner Durchbildung 
  
*) Auf diese Denkschrift habe ich in den Preußischen Jahrbüchern 1877 (XXXVIII. 
406) aufmerksam gemacht. Inzwischen ist sie vollständig veröffentlicht in den „Weiteren 
Beiträgen und Nachträgen zu den Papieren des Ministers von Schön". Berlin 1881. 
S. 187. Vgl. Beilage 13. 
**) Müffling, Denkschrift über die Landwehr (an Prinz August). Dem Staats- 
kanzler überreicht, 12. Juli 1821.
	        
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