Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Berliner Theater. 427 
Er war der Held des Tages, das Bild des häßlichen Mannes mit der 
goldgelockten Perücke hing in allen Schaufenstern; eine reiche Literatur 
von Flugschriften bekämpfte oder vergötterte ihn, bis er sich endlich durch 
das Uebermaß seiner Händelsucht doch unmöglich machte. Die Lust an 
lärmendem Streite, die jeder großstädtischen Bevölkerung im Blute liegt, 
konnte sich nur in solchem Gezänk entladen. 
Im Theater drückte die Polizei ein Auge zu und ließ es geschehen, 
daß mißliebige Schauspieler auf der Bühne zu feierlicher Abbitte vor dem 
sounveränen Volke genöthigt wurden; Männer wie Callot Hoffmann trugen 
kein Bedenken, persönlich solche Volksgerichte zu leiten. Leidenschaftlich, 
als gälte es einen Kampf um die politische Macht, ergriffen die Berliner 
Partei für und wider, als das Königstädtische Theater eröffnet wurde. 
Begeisterte Romantiker hofften schon, Berlin werde nun endlich eine Volks- 
bühne erhalten und die deutsche Kunst aus dem Vagabundenthum der 
alten Komödiantenbuden frische Kraft schöpfen. An Karl v. Holtei, dem 
Improvisator auf dem Papier, wie Goethe ihn nannte, besaß die neue 
Bühne einen liebenswürdigen, leichtlebigen Poeten, der mit seiner mun- 
teren schlesischen Natürlichkeit auf die Berliner Ueberbildung wohlthätig 
einwirken konnte. Aber die burcaukratische Leitung der königlichen Schau- 
spiele wollte sich nicht entschließen, die leichte Waare der Possen und Sing- 
spiele dem Volkstheater zu überlassen. So begann ein gehässiger Wett- 
bewerb, der beide Bühnen herunterbrachte. Der Scandal ward vollständig, 
als die schönste aller deutschen Sängerinnen, Henriette Sontag, in der 
Königstadt die Bretter betrat. Die ganze Stadt gerieth in Bewegung; 
die Neider und die Verehrer der schönen Henriette befehdeten einander in 
Zeitungsartikeln und Libellen, sogar in Processen vor dem Kammergerichte; 
Hegel selbst stieg aus dem reinen Aether der Idee hernieder um seinen 
philosophischen Unwillen über die Schwänke der Königstadt kräftig zu 
bekunden, und die Buben auf den Gassen pfiffen ein neues Volkslied 
„Lott'’ ist todt“, das mit einem geistvollen Scherze über die Spitzenkleider 
der Demoiselle Sontag und ihren hoffnungslosen Anbeter, den englischen 
Gesandten Lord Clanwilliam endigte. 
Zugleich wogte auf der königlichen Bühne selbst ein unablässiger Kampf 
zwischen der Generalintendanz und dem Musikdirektor Spontini; Graf 
Brühl erlag schließlich dem ewigen Aerger, aber auch sein Nachfolger, der 
kunstsinnige junge Graf Redern konnte trotz seiner höfischen Feinheit dem 
Streite mit dem herrschsüchtigen Italiener nicht ausweichen. Mehr als 
zwanzig Jahre lang behauptete sich der Musiker des napoleonischen Cäsaren- 
ruhms in der Hauptstadt des Volkes, das den entscheidenden Schlag gegen 
den Bonapartismus geführt hatte, in einer Welt von Feinden, allein 
gehalten durch die Gunst des Königs und die Meisterschaft eines un- 
bestreitbaren Talents. Wenn der hohe hagere Mann, mit Edelsteinen und 
Spitzenmanschetten pomphaft angethan, die Blitze seiner schwarzen Augen
	        
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