450 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
schwänglichen Schilderungen von dem glückseligen Eldorado des Westens
in das alte Vaterland sendete. Das Idealbild der großen Bundesrepublik
begann eine Macht zu werden im deutschen Parteileben. —
Mit dem Eifer der Demagogenverfolgung ging die Wachsamkeit der
Censur Hand in Hand. Da Grano auf beiden Gebieten polizeilicher Ab—
wandlung zugleich seine bewährte Kraft entfaltete, so konnte es nicht aus—
bleiben, daß auch Berlin seinen Beitrag gab zu der Fülle läppischer Censur—
anekdoten, welche überall in Deutschland einen beliebten Unterhaltungs-
stoff bildeten. Vor den unerforschlichen Launen dieses Censors war Niemand
sicher. Als General Minutoli einmal in Gubitz's harmlosem „Gesellschafter"
äußerte, von Intelligenz sei in dem Berliner Intelligenzblatt wenig zu
spüren, da strich ihm Grano diese frevelhafte Bemerkung, weil das In-
telligenzblatt seinen Namen mit Allerhöchster Ermächtigung führe. Ganz so
arg stand es in Berlin freilich nicht wie in Oesterreich, wo alle von den
deutschen Behörden bereits censirten Schriften einer strengen Recensur
unterworfen und sogar das Conversationslexikon nur einer kleinen Zahl
von Fürsten und Gelehrten, gegen das schriftliche Versprechen strenger Ge-
heimhaltung ausgehändigt wurde. Die Preußen waren aber auch be-
rechtigt eine milde Handhabung der Censur zu erwarten; denn bei der
Einsetzung des Ober-Censurcollegiums hatte der König ausdrücklich be-
fohlen, daß „nach liberalen Grundsätzen Preßfreiheit möglichst erhalten,
dem Mißbrauche derselben aber kräftigst gesteuert werde“. ) Und wie
wurde diese Vorschrift befolgt! Was sollte Deutschland von dem Staate
der Befreiungskriege denken, wenn jetzt Grano dem wackeren Reimer er-
öffnete, eine neue Ausgabe von Fichte's Reden an die deutsche Nation,
die seit Jahren unbelästigt umliefen, sei „für die jetzige Zeit nicht passend",
und das Ober-Censurcollegium dies unglaubliche Verbot bestätigte?)
Auch eine Uebersetzung von Hutten's lateinischen Werken durfte nicht er-
scheinen, damit der römische Stuhl sich nicht beleidigt fühle.
Besonders schwer hatte Brockhaus in Leipzig unter der preußischen
Censur zu leiden. Er war als erklärter Liberaler und als Verleger von
Massenbach's Denkwürdigkeiten in Berlin längst übel berüchtigt. Als er
nun noch eine ungeschickte Schrift Benzenberg's über Friedrich Wilhelm III.
herausgab, welche dem Monarchen wie seinem Kanzler constitutionelle
Grundsätze nachrühmte, da fühlte sich der König persönlich verletzt, weil
darin „besonders über die Verfassungsangelegenheit in einem mit meinen
Absichten gar nicht übereinstimmenden Sinne geredet wird“. Friedrich
Wilhelm befahl, fortan alle Schriften aus Brockhaus' Verlag, bevor man
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 25. Nov. 1819.
*“) Bescheide an Reimer: von Grano, 27. Febr., vom Oberpräsidenten v. Heyde-
breck, 30. April, vom Ober-Censurcollegium, 8. Sept. 1824. Abgedruckt in den Preu-
Pischen Jahrbüchern XIIV. 1 ff. (1879).