Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

450 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod. 
schwänglichen Schilderungen von dem glückseligen Eldorado des Westens 
in das alte Vaterland sendete. Das Idealbild der großen Bundesrepublik 
begann eine Macht zu werden im deutschen Parteileben. — 
Mit dem Eifer der Demagogenverfolgung ging die Wachsamkeit der 
Censur Hand in Hand. Da Grano auf beiden Gebieten polizeilicher Ab— 
wandlung zugleich seine bewährte Kraft entfaltete, so konnte es nicht aus— 
bleiben, daß auch Berlin seinen Beitrag gab zu der Fülle läppischer Censur— 
anekdoten, welche überall in Deutschland einen beliebten Unterhaltungs- 
stoff bildeten. Vor den unerforschlichen Launen dieses Censors war Niemand 
sicher. Als General Minutoli einmal in Gubitz's harmlosem „Gesellschafter" 
äußerte, von Intelligenz sei in dem Berliner Intelligenzblatt wenig zu 
spüren, da strich ihm Grano diese frevelhafte Bemerkung, weil das In- 
telligenzblatt seinen Namen mit Allerhöchster Ermächtigung führe. Ganz so 
arg stand es in Berlin freilich nicht wie in Oesterreich, wo alle von den 
deutschen Behörden bereits censirten Schriften einer strengen Recensur 
unterworfen und sogar das Conversationslexikon nur einer kleinen Zahl 
von Fürsten und Gelehrten, gegen das schriftliche Versprechen strenger Ge- 
heimhaltung ausgehändigt wurde. Die Preußen waren aber auch be- 
rechtigt eine milde Handhabung der Censur zu erwarten; denn bei der 
Einsetzung des Ober-Censurcollegiums hatte der König ausdrücklich be- 
fohlen, daß „nach liberalen Grundsätzen Preßfreiheit möglichst erhalten, 
dem Mißbrauche derselben aber kräftigst gesteuert werde“. ) Und wie 
wurde diese Vorschrift befolgt! Was sollte Deutschland von dem Staate 
der Befreiungskriege denken, wenn jetzt Grano dem wackeren Reimer er- 
öffnete, eine neue Ausgabe von Fichte's Reden an die deutsche Nation, 
die seit Jahren unbelästigt umliefen, sei „für die jetzige Zeit nicht passend", 
und das Ober-Censurcollegium dies unglaubliche Verbot bestätigte?) 
Auch eine Uebersetzung von Hutten's lateinischen Werken durfte nicht er- 
scheinen, damit der römische Stuhl sich nicht beleidigt fühle. 
Besonders schwer hatte Brockhaus in Leipzig unter der preußischen 
Censur zu leiden. Er war als erklärter Liberaler und als Verleger von 
Massenbach's Denkwürdigkeiten in Berlin längst übel berüchtigt. Als er 
nun noch eine ungeschickte Schrift Benzenberg's über Friedrich Wilhelm III. 
herausgab, welche dem Monarchen wie seinem Kanzler constitutionelle 
Grundsätze nachrühmte, da fühlte sich der König persönlich verletzt, weil 
darin „besonders über die Verfassungsangelegenheit in einem mit meinen 
Absichten gar nicht übereinstimmenden Sinne geredet wird“. Friedrich 
Wilhelm befahl, fortan alle Schriften aus Brockhaus' Verlag, bevor man 
  
*) Cabinetsordre an Hardenberg, 25. Nov. 1819. 
*“) Bescheide an Reimer: von Grano, 27. Febr., vom Oberpräsidenten v. Heyde- 
breck, 30. April, vom Ober-Censurcollegium, 8. Sept. 1824. Abgedruckt in den Preu- 
Pischen Jahrbüchern XIIV. 1 ff. (1879).
	        
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