Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Die Krisis im Handel und Landbau. 457 
Verwaltung.*) Diese rasch hingeworfenen Arbeiten zeigen schon sein ganzes 
Wesen: weiten, scharfen Blick, vorurtheilsfreien, hochherzigen Patriotismus, 
aber auch einen Zug von genialem Leichtsinn, der nothwendig zu seinem 
Bilde gehört. Ohne solche Lust am kecken Wagen und Pläneschmieden 
hätte er schwerlich die Kraft gefunden in einer Epoche der Ermattung 
und Entsagung den Neubau des deutschen Staates vorzubereiten. Die 
ihm näher standen empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte 
Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus productiver Kopf in allzu 
engem Wirkungskreise sich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer 
großen Thätigkeit, wenn die Ideen, die in seinem Geiste gährten, sich ab- 
klären, wenn sein starker Ehrgeiz und seine frohe Willenskraft sich frei 
entfalten sollten. 
Um das Desicit zu beseitigen, hatte der König den neuen Minister 
berufen. Die glückliche Lösung dieser nächsten Aufgabe bildete zugleich die 
Vorbedingung für das Gelingen der handelspolitischen Pläne, welche Motz 
seit jenem Sondershausener Vertrage nicht mehr aus den Augen verloren 
hatte; nur wenn das Gleichgewicht des Staatshaushalts gesichert war, 
konnte die Krone Zollverträge von zweifelhaftem finanziellem Erfolge wagen. 
In den Kreisen des hohen Beamtenthums wurde die Lage der Finanzen 
allgemein sehr ungünstig beurtheilt. Hatte man vor sechs Jahren schlechter- 
dings nicht glauben wollen, daß in Preußen ein Deficit bestehen könne, 
so hielt man jetzt den Zustand für ganz verzweifelt, weil man die Er- 
giebigkeit der neuen Steuern nicht genau kannte. Motz theilte diese düstere 
Ansicht nicht. Er war überzeugt, das vielbeklagte Deficit sei längst nicht 
mehr vorhanden, wenn nur erst Einheit, Uebersicht, Ordnung in das 
Finanzwesen komme; „aber"“, sagte er später zu seiner Tochter, „ich hütete 
mich wohl, Ueberschüsse zu versprechen, man hätte mich für wahnsinnig 
gehalten.““) — 
Einen minder muthigen Mann hätte die Lage des Marktes wohl 
erschrecken können. Zur selben Zeit, da Motz ins Amt trat, brach über 
England eine furchtbare Handelskrisis herein, eine der schwersten Er- 
schütterungen, welche die Handelsgeschichte kennt. Die Eröffnung des süd- 
amerikanischen Marktes hatte eine fieberische Speculation erweckt, welcher 
nun der natürliche Rückschlag folgte: in fünf Vierteljahren stürzten mehr 
als siebzig Banken und an 3600 Geschäftshäuser zusammen. Auch Deutsch- 
land blieb von dem Unheil nicht verschont, wie bescheiden auch sein An- 
theil am Weltverkehr noch war: die große Firma Reichenbach in Leipzig 
und einige der ersten Häuser Berlins gingen zu Grunde. Doch was 
bedeutete diese Bedrängniß des Geldmarktes neben der namenlosen Noth 
des deutschen Landbaues, die wie alle landwirthschaftlichen Krisen ungleich 
  
*) S. o. II. 130. 160. 202; III. 419. 
*) Nach den Aufzeichnungen von Frau v. Brinken.
	        
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