Die Krisis im Handel und Landbau. 457
Verwaltung.*) Diese rasch hingeworfenen Arbeiten zeigen schon sein ganzes
Wesen: weiten, scharfen Blick, vorurtheilsfreien, hochherzigen Patriotismus,
aber auch einen Zug von genialem Leichtsinn, der nothwendig zu seinem
Bilde gehört. Ohne solche Lust am kecken Wagen und Pläneschmieden
hätte er schwerlich die Kraft gefunden in einer Epoche der Ermattung
und Entsagung den Neubau des deutschen Staates vorzubereiten. Die
ihm näher standen empfingen den Eindruck, daß hier eine groß angelegte
Natur, ein gedankenreicher, unruhiger, überaus productiver Kopf in allzu
engem Wirkungskreise sich aufzureiben drohte. Der Mann bedurfte einer
großen Thätigkeit, wenn die Ideen, die in seinem Geiste gährten, sich ab-
klären, wenn sein starker Ehrgeiz und seine frohe Willenskraft sich frei
entfalten sollten.
Um das Desicit zu beseitigen, hatte der König den neuen Minister
berufen. Die glückliche Lösung dieser nächsten Aufgabe bildete zugleich die
Vorbedingung für das Gelingen der handelspolitischen Pläne, welche Motz
seit jenem Sondershausener Vertrage nicht mehr aus den Augen verloren
hatte; nur wenn das Gleichgewicht des Staatshaushalts gesichert war,
konnte die Krone Zollverträge von zweifelhaftem finanziellem Erfolge wagen.
In den Kreisen des hohen Beamtenthums wurde die Lage der Finanzen
allgemein sehr ungünstig beurtheilt. Hatte man vor sechs Jahren schlechter-
dings nicht glauben wollen, daß in Preußen ein Deficit bestehen könne,
so hielt man jetzt den Zustand für ganz verzweifelt, weil man die Er-
giebigkeit der neuen Steuern nicht genau kannte. Motz theilte diese düstere
Ansicht nicht. Er war überzeugt, das vielbeklagte Deficit sei längst nicht
mehr vorhanden, wenn nur erst Einheit, Uebersicht, Ordnung in das
Finanzwesen komme; „aber"“, sagte er später zu seiner Tochter, „ich hütete
mich wohl, Ueberschüsse zu versprechen, man hätte mich für wahnsinnig
gehalten.““) —
Einen minder muthigen Mann hätte die Lage des Marktes wohl
erschrecken können. Zur selben Zeit, da Motz ins Amt trat, brach über
England eine furchtbare Handelskrisis herein, eine der schwersten Er-
schütterungen, welche die Handelsgeschichte kennt. Die Eröffnung des süd-
amerikanischen Marktes hatte eine fieberische Speculation erweckt, welcher
nun der natürliche Rückschlag folgte: in fünf Vierteljahren stürzten mehr
als siebzig Banken und an 3600 Geschäftshäuser zusammen. Auch Deutsch-
land blieb von dem Unheil nicht verschont, wie bescheiden auch sein An-
theil am Weltverkehr noch war: die große Firma Reichenbach in Leipzig
und einige der ersten Häuser Berlins gingen zu Grunde. Doch was
bedeutete diese Bedrängniß des Geldmarktes neben der namenlosen Noth
des deutschen Landbaues, die wie alle landwirthschaftlichen Krisen ungleich
*) S. o. II. 130. 160. 202; III. 419.
*) Nach den Aufzeichnungen von Frau v. Brinken.