Noth der ostpreußischen Grundbesitzer. 459
wenn es aber ganz unmöglich sei, eine Familie im Besitze zu erhalten,
dann sollte sie mit einer nothdürftigen Pension abgefunden und ihr Stamm-
gut durch die Landschaft unter den Hammer gebracht werden.)
Mit dieser fast unbeschränkten Vollmacht schritt Schön ans Werk.
Das Schicksal des altpreußischen Adels lag in seiner Hand. Abermals,
und noch stürmischer als vor Jahren bei der Vertheilung der ersten Kriegs-
entschädigungsgelder, ) drängte sich Alles um die Gunst des Beherrschers
der Provinz. Er that sein Bestes, viele wackere Männer vom Landadel
verdankten allein seiner Fürsorge die Erhaltung ihres Besitzes; wo er
aber die Lage für hoffnungslos hielt, da ließ er die Landschaft uner-
bittlich zur Subhastation schreiten. So geschah es, daß unter der Mit-
wirkung dieser wohlwollenden Regierung die Grafen Schlieben, die Grafen
Goltz und viele andere angesehene Adelsgeschlechter von Haus und Hof
verjagt wurden — die meisten schuldlos, denn der letzte Grund ihrer
Noth lag doch in den patriotischen Opfern der Kriegszeit. Hunderte von
Landgütern wurden versteigert, einmal ihrer 218 fast zu gleicher Zeit; das
unmäßige Angebot drückte die Preise so tief herab, daß die Landschaft
selber nur durch Zuschüsse des Staates sich behaupten konnte. In man-
chen Theilen der Provinz wechselte die volle Hälfte der großen Güter
ihren Besitzer. Zu den Käswurm, Biehler, Reichenbach und den anderen
Salzburger Exulanten, die sich bereits in die Reihen des Grundherren-
standes emporgearbeitet hatten, trat mit einem male eine ganze Schaar
bürgerlicher Rittergutsbesitzer hinzu, aus dem Lande selbst, aus Meckleu-
burg, aus Bremen, Braunschweig, Sachsen: darunter viele tüchtige Männer,
die hier ihr Capital zu 15 Procent anlegen konnten und bald mit der
alten Aristokratie verwuchsen, aber auch manche rohe Abenteurer, welche
niemals auf einen grünen Zweig kamen.
Niemand hatte unter dieser socialen Umwälzung schmerzlicher zu leiden
als der gestrenge Oberpräsident. Thränen des Dankes sah er fließen,
doch auch mit Verwünschungen wurde er überhäuft. In den Nachbar-
provinzen erzählte man allgemein, der fanatische Liberale habe sich ver-
messen, die verfaulte Rasse des preußischen Adels durch ein neues kräf-
tigeres Geschlecht zu verdrängen. Möglich immerhin, daß Schön in seiner
Heftigkeit einmal eine solche Aeußerung herausgepoltert hat; allein seine
Absicht war gerecht, er wollte den alten Geschlechtern retten was noch zu
retten war, und nur die Dürftigkeit der Geldmittel zwang ihn zu einer
Härte, die seinen Wünschen widersprach. Wie viel erfolgreicher hatte einst
König Friedrich nach dem siebenjährigen Kriege für die „Conservirung"
*) Schön's Berichte an Schuckmann, 23. Aug., an den König, 6. Dec. 1824;
Lottum, Cabinetsschreiben an Schön, 2. Juli 1825; Stägemann an Schulz, 13. Okt.
1809; dessen Promemoria über die ostpreußischen Grundbesitzer, Juni 1825.
**) S. o. II. 250.