Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Sächsischer Preußenhaß. 501 
wissenschaft, das der schreibselige Krug auf Grund seiner unblutigen Waffen— 
thaten sofort herausgab. Während Preußens gesammtes Volk für Deutsch— 
land focht, verharrten viele brave junge Sachsen noch in den philisterhaften 
Anschauungen des altüberlieferten Standesdünkels und vermochten den 
Gedanken gar nicht zu fassen, daß ein gebildeter Mann die Flinte tragen 
könne. Recht aus dem Herzen seiner Leipziger Standesgenossen heraus 
schrieb der gelehrte junge Astronom Möbius im Sommer 1814: „Ich 
halte es gradezu für unmöglich, daß man mich, einen habilitirten Magister 
der Leipziger Universität, zum Rekruten sollte machen können. Es ist der 
abscheulichste Gedanke, den ich kenne, und wer es wagen, sich unterstehen, 
erkühnen, erdreisten, erfrechen sollte, der soll vor Erdolchung nicht sicher 
sein. Ich gehöre ja nicht zu den Preußen, ich bin in sächsischen Diensten.“ 
Als nun die Landestheilung so viele altgewohnte nachbarliche Verhält— 
nisse roh zerstörte, da war die Erinnerung an den Freiheitskrieg und die 
Unthaten der Franzosen bald völlig vernichtet. Niemand fragte mehr, 
was Preußen auch für die Befreiung Sachsens gethan; Niemand bedachte, 
daß Talleyrand und Metternich die Theilung des Landes verschuldet, 
Preußen sie nur widerwillig angenommen hatte. Ein maßloser Haß richtete 
sich, menschlich genug, gegen den nordischen Nachbar, und er ward fast 
zur Wuth, als die entsetzliche Kunde von der Lütticher Meuterei eintraf. 
Der sächsische Particularismus war nicht mehr stolz, wie in den Zeiten 
der Kurfürsten Moritz und August, sondern giftig, verbissen und ver— 
kniffen, ganz gegen die natürliche Art des gutherzigen Stammes. Wer 
ein guter Sachse war, mußte von Zeit zu Zeit einmal durch eine 
kräftige Herzensergießung wider Preußen beweisen, daß der meißnische 
Dialekt in der Grobheit ebenso ausdrucksvoll und wortreich ist wie in der 
Höflichkeit. Lange Jahre hindurch blieb es eine sächsische Eigenthümlich— 
keit, daß man dort überall gescheidte und ehrlich deutsch gesinnte Männer 
traf, mit denen man über Alles vernünftig sprechen konnte, nur nicht 
über Preußen. 
In der ersten Zeit nach der Theilung bekundete sich diese Gesinnung 
noch durch einige häßliche Libelle. So erschien ein offenbar gefälschtes 
Schreiben der sächsischen Grenadiere, das den „Waffengefährten aller teut— 
schen Nationen“ die „schauderhaften Verbrechen“ der preußischen „Seelen— 
verkäufer“ bei Lüttich schilderte. Eine andere Flugschrift unter dem eben— 
falls erfundenen Titel „Rechtfertigung des aus sächsischem in preußische 
Dienste übergetretenen Raths N.“ entwickelte den sauberen Plan: die alt— 
sächsischen Beamten in der Provinz Sachsen sollten unter der Hand „die 
Erschlaffung sächsischer Nationalität und die Amalgamation mit Preußen“ 
zu verhindern suchen, um das Volk auf „die Morgenröthe besserer Tage“ 
vorzubereiten. „Oesterreichs Kaiserhaus hat gewiß nicht ohne den tiefsten 
Schmerz jetzt dem Drange der Umstände nachgegeben und in die Er— 
niedrigung der ihm befreundeten Familie gewilligt, Oesterreichs Cabinet
	        
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