Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Das Erzgebirge. 505 
der Erde eine großartige wirthschaftliche Betriebsamkeit, wie sie Deutsch— 
land nur erst am Niederrhein kannte: die Wasserläufe des Gebirgs durch 
ein System von Floßgräben verbunden; die mächtigen Kohlenwerke des 
Plauenschen Grundes und des Zwickauer Beckens bereits in Thätigkeit; 
die Textilindustrie seit der Continentalsperre hoch entwickelt; in Chemnitz 
C. G. Becker, der in seiner Kattundruckerei und Baumwollenspinnerei 
schon über 3000 Arbeiter beschäftigte. Und fast in jedem Bergstädtchen 
dasselbe Bild: am Eingange des Orts der hohe Post-Obelisk mit dem 
Namenszuge des starken August, droben auf flußumrauschtem Felsenriegel 
ein altes kurfürstliches Schloß, am Berge aufsteigend die schmucken Häuser 
mit den Werkstätten der Weber, der Uhrmacher, der Steindreher, Alles 
wimmelnd von fleißigen Menschen, als einzige Nahrung oft wochenlang 
nur Kartoffeln und der Cichorientrank aus den gelben Düten von Jordan 
und Timäus, aber trotz der bitteren Armuth nirgends Schmutz und in 
aller Noth immer der alte Trost: gemüthlich ist's doch droben auf dem 
Erzgebirge! Dazu durchweg gute Volksschulen, freilich mit halbverhungerten 
Lehrern, und ein mannigfacher technischer Unterricht, der in der Dresdener 
technischen Bildungsanstalt (1828) seinen Mittelpunkt fand. Es lag ein 
herrliches Stück deutscher Tüchtigkeit in diesem stolzen alten Kursachsen, 
und selbst im Rheinlande gedachte General Aster noch mit Selbstgefühl 
des vielgestaltigen Lebens seiner Heimath, obschon er wohl wußte, daß für 
sein Talent in dem kleinen Lande kein Raum war. 
Aber diese Fülle socialer Kräfte ward unterbunden und darnieder- 
gehalten durch eine Verfassung, die hierzulande wie ein Stück verkehrter 
Welt erschien. Alles, was diesem Lande Bedeutung gab, Wissenschaft, 
Handel und Gewerbfleiß war bürgerlich. Zwar bestand hier noch wie in 
allen germanisirten Slawenländern eine Unzahl von Rittergütern, doch der 
Grundadel war mit seltenen Ausnahmen arm, nur in der Lausitz leidlich 
wohlhabend; die große Mehrzahl der adlichen Familien mußte im Hof- 
und Staatsdienste ein Unterkommen suchen. Mit seiner dichten Bevöl- 
kerung und dem überwiegend städtischen Charakter seiner Cultur stand 
Sachsen dem deutschen Westen weit näher als den aristokratischen Acker- 
baulanden an der Ostsee; und doch behauptete sich in diesen ganz mo- 
dernen Wirthschaftsverhältnissen unwandelbar wie eine wohl erhaltene 
politische Versteinerung noch eine Adelsherrschaft, deren Starrheit kaum in 
Mecklenburg überboten wurde. Eine gründliche Neugestaltung war hier 
durch die Landestheilung ganz ebenso unabweisbar geboten wie einst in 
den süddeutschen Rheinbundslanden durch die Vergrößerung des Staats- 
gebiets; der weite Mantel der alten Verfassung hing dem verkleinerten 
Staate schlotternd um die Glieder. Doch wer konnte von dem bedächtigen 
Friedrich August jetzt in seinen hohen Jahren noch kühne Entschlüsse er- 
warten? wer hätte auch nur gewagt solche Forderungen auszusprechen in- 
mitten der überschwänglichen Huldigungen dieser Tage des Wiedersehens?
	        
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