Die Adelsherrschaft. 509
der polnischen Auguste, berechtigt von seiner Verwaltung niemals Rechen—
schaft abzulegen, und ein schwermüthiges Sprichwort sagte: wer kann wider
Gott und den Stadtrath von Leipzig? Selbst in dringender Noth wagte
die Regierung nur selten den Trotz dieser selbstherrlichen Magistrate zu
brechen; viele Jahre hindurch mußten die Bewohner der Muldeniederung
auf den Bau der unentbehrlichen Brücke warten, weil der Wurzener
Stadtrath seine einträgliche Fähre nicht aufgeben wollte. In der Ober—
lausitz wurde die Verwaltung, die bisher allein den Landständen zu—
gestanden, erst 1821 unter die Leitung einer königlichen Oberamtsregierung
gestellt. Nicht ohne starkes Widerstreben; denn dies kleine Land wollte
noch immer eine selbständige Markgrafschaft neben den „Erblanden“ bleiben,
obgleich zwei Drittel seines Gebietes an Preußen gefallen waren, und
ließ sich das Recht nicht nehmen, den König-Markgraf nach der Thron—
besteigung an der Landesgrenze, vier Stunden von Dresden, mit seinen
blaugelbrothen Bannern zu empfangen. Waren doch vier von den stolzen
Sechsstädten der Lausitz bei Sachsen geblieben, und darunter Bautzen, die
Hauptstadt des streng dynastisch gesinnten Wendenvölkchens.
Dem Adel war ein Theil der Justiz= und Verwaltungsstellen gesetz-
lich vorbehalten, da die Landesregierung und das Appellationsgericht nach
altständischem Brauch noch in eine adliche und eine gelehrte Bank zer-
fielen. Der Regel nach gingen die hohen Staatswürden reihum in einem
kleinen Kreise einflußreicher Adelsfamilien, der seit der Landestheilung sich
noch mehr verengerte und Jedem im Lande wohlbekannt war. Auch in
das Adeliche Cadettencorps durfte der Bürgerliche bloß als Volontär ein-
treten, nur der Besuch der Artillerieschule stand ihm frei. Dem entsprach
es auch, daß die Soldaten-Werbung hier erst im Jahre 1825 durch ein
Conscriptionssystem nach französisch-rheinbündischem Muster ersetzt wurde.
Noch länger, bis 1829, erhielten sich die alten Bräuche an der Universität,
die noch aus den vier Nationen der Meißner, Sachsen, Franken und Polen
bestand. Ihr Rector hatte Fürstenrang; ihre Beamten führten, vom Staate
unbeaufsichtigt, nach altväterischer Weise die kostspielige und schleppende
Verwaltung der großen Universitätsgüter. Ihre Gerichtsbarkeit erstreckte
sich zwar nicht mehr über alle studirten Leute, die in Leipzig wohnten —
dies hatte ein Machtspruch Napoleon's abgeschafft —, aber noch immer
über alle Angehörigen des Corpus academicum.
Natürlich war auch der geistliche Herr in dieser Welt von Privilegien
und Sonderrechten nicht ohne Weiteres der Gerichtsbarkeit des Staates
unterworfen. Als der Pfarrer Tinius (1814) des Raubmordes bezichtigt
wurde, da mußte erst der Leipziger Schöppenstuhl durch ein vorläufiges
Erkenntniß beschließen, daß gegen den Inculpaten mit der Inquisition zu
verfahren sei; dann wurde der arme Sünder in der Nicolaikirche öffentlich
seines geistlichen Gewandes entkleidet und nunmehr als ein Weltlicher dem
weltlichen Richter übergeben. Die alten Vorrechte der Lutheraner hatten