514 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
segen blieb aus. Um so größer die Freude, als einige Jahre darauf dem
jungen Prinzen Johann doch noch ein Erbe geboren wurde; da standen
begeisterte Dresdener mit Champagnerflaschen auf der Brücke und nöthigten
jeden Vorübergehenden, mit ihnen auf den Stammhalter anzustoßen.“) Bei
aller Unterthänigkeit ließ sich jedoch nicht mehr verkennen, daß die Unnatur
der überlebten Staatsformen schon das gesammte Volksleben zu lähmen
begann. Die Industrie im Erzgebirge vermochte nicht zu gesunden, und
wenn der Glanz der Leipziger Messen sich noch hielt, so war es dafür in
der übrigen Jahreszeit um so stiller an der Pleiße; die Landkundschaft
gewöhnte sich bereits ihren Bedarf an Colonialwaaren über Magdeburg
zu beziehen, weil dort keine Accise bezahlt wurde.
Die Völker wie die Einzelnen erleben Zeiten der Unfruchtbarkeit,
denen Alles mißlingt; eine solche Epoche war jetzt für Obersachsen ge—
kommen, man erkannte dies an guten Köpfen sonst überreiche Land kaum
mehr wieder. Die vormals so glänzende Hochschule war zur sächsischen
Landesuniversität herabgesunken. Außer einer Reihe achtungswerther Fach—
männer besaß sie zur Zeit nur zwei Gelehrte von großer, allgemein an—
erkannter Wirksamkeit, Gottfried Hermann und den geistvollen Theologen
Tzschirner, dann noch den wässerigen Vielschreiber Pölitz und den uner—
müdlichen Krug, der mindestens den Muth hatte, durch freimüthiges Rügen
öffentlicher Mißbräuche die schlummernde sächsische Welt zuweilen aufzu—
rütteln. Nach dem Kriege hatte Graf Heinrich Vitzthum, der Gönner
Carl Maria v. Weber's, die Hoffnung gehegt, Sachsen werde sich für den
Verlust seiner politischen Macht in großem Sinne entschädigen und, wie
späterhin Baiern unter König Ludwig, der Sammelplatz der deutschen
Künste werden. Was war aus diesen stolzen Träumen geworden? Der
Componist von Leier und Schwert erfreute sich nicht der Gunst des Hofes,
da er des deutsch-preußischen Patriotismus verdächtig war. An den Er—
folgen der neuen bildenden Kunst nahm Sachsen noch fast gar keinen
Antheil, denn die jungen Talente Schnorr, Rietschel, Richter standen noch
in den Jahren der Entwicklung. Auch Tiedge, der beschauliche Dichter
der Urania, der, obwohl kein Landeskind, doch in Dresden als vaterlän—
dische Größe verehrt wurde, auch die poetische Harfenspielerin Therese aus
dem Winckell, auch Tromlitz, Nordstern und die anderen Gestirne des
Dresdener Thee-Dichterbundes strahlten nur einen sanften Glanz über
das Land aus.
Mittelmäßigkeit und Verknöcherung überall; und dazu mußte man
noch die grausame Ironie des Schicksals erleben, daß gerade der Anblick
der preußischen Zustände den politischen Groll unter den Bürgern und
Bauern wachrief. Mochte man die Preußen verfluchen — das ließ sich
*) Berichte von Jordan, 1. Aug.; von Meyern, 15. Okt.: Witzleben's Tagebuch,
Juli 1825; Wangenheim an Hartmann 30. April 1828.