516 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
der katholischen Hofkirche die Gläubigen einlud zu den üblichen Gebeten
um die Ausbreitung der katholischen Kirche und das Aufhören der Ketzerei,
da brach rings im Lande der Unwille los. Niemand bemerkte, daß in
allen Kirchen der katholischen Christenheit genau dieselbe altherkömmliche
Einladung zu lesen stand; Niemand bedachte, daß die Protestanten ihren
Gott doch auch um die Ausbreitung des geläuterten evangelischen Glaubens
zu bitten pflegten. Eine Adresse von Dresdener Bürgern fragte entrüstet,
wie dergleichen möglich sei „in einer deutschen Provinz, von welcher das
Licht der Kirchenverbesserung zuerst ausgegangen“.“) Auf den Kanzeln
wurde so leidenschaftlich gezetert, daß der König endlich beiden Theilen
Schweigen gebieten mußte. Neuer Lärm unter den Lutheranern, als die
Krone (1827) gegen den Rath der Stände ein Mandat veröffentlichte, das
für die Pfarrsprengel der Katholiken und die Einrichtung der Seelsorge
einige ganz unverfängliche Vorschriften gab. Ein anderes Mandat stellte
die religiöse Erziehung der Kinder gemischter Ehen gänzlich der freien
Verabredung der Eltern anheim, und auch dies offenbar wohlgemeinte Gesetz
stachelte die lutherische Unduldsamkeit zu heftigen Angriffen auf. Allgemein
glaubte man, der Marcolini'sche Palast sei für ein Jesuitencolleg bestimmt.
Eine Menge ähnlicher Märchen war im Umlauf, und doch stand im Grunde
nur die eine Thatsache fest, daß der König und Graf Einsiedel den Bischof
Mauermann ihres besonderen Vertrauens würdigten.
Die Unzufriedenheit nahm in der Stille dermaßen überhand, daß
sogar die in Sachsen unerhörte Erscheinung eines Oppositionsblattes mög-
lich wurde. Die „Biene“ des Zwickauer Theologen Richter war nicht
eigentlich eine politische Zeitschrift — denn die Politik blieb durch könig-
liches Privileg allein der vom Staate verpachteten Leipziger Zeitung vor-
behalten — sondern ein Sprechsaal für örtliche Angelegenheiten. Da
schütteten nachdenkliche Philister dem „lieben Bienchen“ und seinem bie-
deren Bienenvater ihren Kummer aus über den Pennalismus der Fürsten-
schulen, über das Ungeziefer im Akademischen Carcer, über die gemein-
gefährliche Lage des Leipziger Schießgrabens, über die Möpse der lustwan-
delnden Dresdener Damen. Aber neben solchen läppischen Beschwerden
standen auch ernste Klagen des belasteten Landvolks — zumal aus dem
Schönburgischen, wo der Bauer vom Getreide den Zehnten, vom Jung-
vieh den Siebenten an den Grafen entrichtete, — und scharfe Rügen
wider die Mißbräuche der städtischen Verwaltung, nicht bloß gegen den
Bierzwang und das schändliche Dünnbier der Rathskeller, sondern gegen
das ganze System des unverantwortlichen Stadtregiments. Der Ton der
Artikel war zuweilen recht erregt; man hörte heraus, daß der neue König
nicht mehr auf unbedingte Ehrerbietung rechnen konnte. Mit Angst blickten
die Männer der guten alten Zeit auf dies streitbare Thierchen, das „überall
*7) Eingabe von Dresdener Bürgern an den Rath, Dec. 1824.