Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Entartung des Hauses Brabant. 521 
Namenlos war der Jammer in dem entvölkerten Lande; Tag und 
Nacht bewachten berittene Landjäger die Grenze, um das Entweichen der 
Cantonspflichtigen zu verhindern. Zum Troste erließ der alte Landgraf 
seinem Volke für die Dauer des amerikanischen Krieges einen winzigen 
Theil der Abgaben, da er ja das Heer nicht mehr selbst bezahlte. Dem 
Erbprinzen war selbst dies Opfer noch zu groß; er begnügte sich mit einem 
Steuererlaß für die Eltern und die Eheweiber, denen er die Ernährer 
geraubt hatte, und verkündete seinen getreuen Unterthanen, daß er sich 
„ein wesentliches Vergnügen daraus mache, ihnen ein solches Merkmal 
seiner Gnade zufließen zu lassen“. Die also erworbenen Blutgelder speicherte 
der Sohn haushälterisch in seinem Schatze auf; der Vater verwendete sie zum 
Theil für seine Casseler Neubauten, einen andern Theil verpraßte er in 
geschmacklosen Festen mit den französischen Dirnen und Abenteurern, welche 
seinen Hof beherrschten und die Sitten der Hauptstadt auf lange hinaus 
verdarben. Trotz dieser Verschwendung hinterließ er ein fürstliches Haus- 
vermögen, das in Deutschland nicht seinesgleichen hatte. Die früheren 
Verdienste des Landgrafen und seines Hauses standen aber noch in so 
gutem Andenken, daß die getreuen Landstände diesem „Vater des Vater- 
landes“ noch bei Lebzeiten auf seinem Friedrichsplatze ein Denkmal errichteten. 
Als Wilhelm IX. nach dem Tode des Vaters in Cassel einzog, blieb 
er den in Hanau erprobten Regierungsgrundsätzen treu. Der üppige 
Prunk verschwand, peinlicher Geiz herrschte am Hofe wie im Staate, aber 
die alte Unzucht verschwand nicht. Niemand vermochte die Zahl der fürst- 
lichen Bastarde genau zu berechnen; nur die Grafen von Hessenstein und 
die Gebrüder Haynau kannte Jedermann, und im Volke ging die Sage, 
daß der Landgraf, sobald ihm wieder eine uneheliche Vaterfreude bescheert 
wurde, den Preis des Scheffels Salz in den Staatsmagazinen um einen 
Kreuzer zu erhöhen pflegte. Auch das Heer focht wieder seines alten 
Ruhmes würdig in den rheinischen Feldzügen und wieder im englischen 
Solde, aber diesmal doch für das Deutsche Reich und für eine Sache, die 
dem Fürsten heilig war, denn er fühlte sich ganz als Selbstherrscher und 
verabscheute die Revolution. Wo sein Geiz nicht ins Spiel kam, war die 
Verwaltung in diesen Jahren immerhin erträglich, und als er dann un- 
rühmlich entthront wurde, ein Opfer seiner rechnenden Schlauheit, die 
nicht zur rechten Zeit die einträglichere Partei zu ergreifen verstand, da 
vergaß das treue Volk sofort aller vergangenen Unbill. Dreimal, in den 
Jahren 1806 und 1809, versuchten die Hessen sich wider die Fremdherr= 
schaft zu erheben. Der reiche Kurfürst aber begnügte sich in Böhmen ein 
kleines schlecht bezahltes Freicorps zu bilden, er hatte kein Almosen für 
die Unglücklichen, die um seinetwillen ins Elend ziehen mußten; den Ur- 
heber des zweiten Aufstandsversuchs, den tapfern Oberst Dörnberg wollte 
er mit 200 Thlr. ablohnen. Auch das ward vergessen. Bei seiner Heim- 
kehr schwelgte alles althessische Land in patriotischer Begeisterung. Selbst
	        
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