Kurfürst Wilhelm J. 523
des Nestors der deutschen Fürsten wollte man Alles dankbar hinnehmen.
Aber selbst die hessische Treue begann zu verzweifeln, als der alte „Sieben—
schläfer“ die Geschichte der jüngsten sieben Jahre mit einem Federzuge zu
vernichten suchte. Alles sollte zurückkehren auf den Stand vom 1. Nov.
1806, die damals beurlaubten Regimenter sich in ihren alten Garnisonen
sofort versammeln, die Staatsdiener ihre alten Aemter wieder übernehmen;
der Major ward wieder Leutnant, der Rath Assessor — wenn der Kur—
fürst nicht vorzog ihm gegen die Zahlung neuer Taxen seine neue Würde
zu bestätigen. Der Code Napoleon und die gesammte westphälische Gesetz—
gebung verschwanden mit einem Schlage: tausende von Mündigen wurden
entmündigt, weil die Volljährigkeit fortan wieder mit dem fünfundzwan—
zigsten Jahre statt des einundzwanzigsten beginnen sollte. Als die Truppen
zu Neujahr 1816 aus dem französischen Festungskriege heimkehrten, mußten
sie alsbald die alten 15 Zoll langen Zöpfe wieder anlegen; 1 Zoll Abstand
vom Kopfe, 13 Zoll gewickelt, 1 Zoll Haardollen, so lautete der Befehl.
Wenn sich nur in dem Aberwitz dieser Restauration mindestens die
Ehrlichkeit des Fanatismus gezeigt hätte! Der legitimistische Feuereifer
dieses Fürsten aber vertrug sich sehr wohl mit kaufmännischer Berechnung.
Wie er die Domänenkäufer beraubte, aber die neuen Erwerbungen König
Jerome's für sich behielt, so führte er auch die althessischen Steuern wieder
ein und ließ daneben die schwersten der westphälischen Abgaben fortbestehen.
Die westphälische Staatsschuld wurde für nichtig erklärt, doch von der
althessischen Schuld wollte der alte Herr auch nur ein Drittel anerkennen,
weil sein Verwalter Jerome ihren Betrag gewaltsam herabgesetzt hatte.
Welch ein Gegensatz zu der peinlichen Ehrlichkeit des Königs von Preußen!)
Das Zunftwesen lebte wieder auf, desgleichen die Frohnden und die bäuer-
lichen Lasten, aber die Patrimonialgerichte blieben aufgehoben, weil der
Kurfürst seiner Ritterschaft mißtraute. Die jungen Männer, deren Bäter
nicht den höheren Rangklassen angehörten, durften wieder wie vormals nur
mit besonderer landesherrlicher Erlaubniß studiren.
Die Staatsdiener, die unter der Fremdherrschaft doch mit einiger
Sicherheit auf den Bezug ihrer Gehalte hatten rechnen können, sahen sich
jetzt dem Geize des Landesherrn wieder schutzlos preisgegeben. In der
Armee ward es bald zur Regel, daß die Beförderten ihren bisherigen
Gehalt beibehielten; es gab Generale mit Rittmeistersgehalt, kein einziger
General empfing, was ihm gebührte. Durch diese Begaunerung seiner
eigenen Beamten gelangte der Landesvater nach vier Jahren so weit, daß
er in jedem Monat über 36,000 Thlr. an Gehalten ersparte und in seiner
unergründlichen Kammerkasse verschwinden ließ.“) Nun gar die Verab-
schiedeten nagten fast allesammt am Hungertuche. Wenn es galt einen
*) Vergl. o. III. 72.
**) Hänlein's Berichte, 22. Jan. 1816, 6. Nov. 1817.