Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kurhessischer Landtag. 525 
seit 1798 nicht mehr zusammengetreten war. Nach Jahresfrist löste er 
sein Wort ein und berief zum März 1815 einen Engeren Landtag für 
Althessen; acht Prälaten und Ritter, acht städtische Vertreter und dazu 
noch eine dritte Curie von fünf Abgeordneten für die bisher unvertretenen 
Bauern. Wie die Ritterschaft an jedem der fünf hessischen Ströme, am 
Diemel-, Lahn-, Fulda-, Schwalm-, Werrastrom bisher einen Vertreter erwählt 
hatte, so fortan auch die Bauerschaft. Es war die einzige reformatorische 
That Wilhelm's I.; er entschloß sich dazu nicht um seinem Landvolke gerecht 
zu werden, sondern um der beargwöhnten Ritterschaft ein Gegengewicht 
zu schaffen. Der Kurfürst eröffnete die Ständeversammlung mit Worten 
väterlicher Liebe und ließ ihr dann als einzige Proposition eine Forderung 
von mehr als vier Mill. Thlr. vorlegen. Diese Summen behauptete er 
für das Land ausgelegt zu haben, die Hälfte davon noch vor dem Jahre 
1806; und ganz so hochherzig wie er einst den Frauen der verkauften 
Soldaten die Steuern erlassen hatte, gab er jetzt seinen Ständen zu wissen 
auf eine Entschädigung für den Schloßbrand vom Jahre 1811 wolle er 
in Gnaden verzichten. 
Der Landtag bewährte, diesen Zumuthungen gegenüber, den festen, 
ruhigen Gradsinn, der seitdem, in schweren Prüfungen oft erprobt, für 
den hervorstechenden Charakterzug der Hessen galt und dem kleinen Volke 
die Achtung der Welt erwarb. Obwohl die Ritterschaft zuweilen versuchte 
ihres eigenen Weges zu gehen, so hielten die Stände doch bei allen 
entscheidenden Beschlüssen treu zusammen, auch die Bauern behaupteten 
sich trefflich. Der preußische, ja selbst der österreichische Gesandte konnte 
der muthigen Besonnenheit dieses Landtages die Anerkennung nicht ver- 
sagen. Unter einem solchen Fürsten war die Politik nur ein Handels- 
geschäft; nach langem Feilschen wurde die landesherrliche Forderung herab- 
gesetzt, zuletzt auf 400,000 Thlr., und der Kurfürst bewogen, die althessische 
Schuld zu ihrem vollen Nennwerthe anzuerkennen. Aber eine Rechen- 
schaft über die Lage des Staatshaushalts vermochten die Stände nicht 
zu erlangen. Nicht bloß die Cabinets= und die Kammerkasse, die nach 
alter Verfassung allein dem Landesherrn gehörten, blieben ihnen ver- 
schlossen; auch über den Stand der Kriegskasse erfuhren sie nichts, und 
dort lag ein Theil der englischen Subsidiengelder, welche der Landtag auf 
22 Mill. Thlr. schätzte und für den Staat in Anspruch nahm. Die 
widerlichste Sünde der deutschen Kleinstaaterei, der Zank um das Landes- 
vermögen, erschien nirgends so ruchlos wie in Hessen, wo die Schätze des 
fürstlichen Hauses recht eigentlich durch das Blut des Volkes erworben 
waren. 
Mittlerweile begann es im Lande zu gähren. Der Erbkämmerer 
Frhr. v. Berlepsch, ein ehrlicher, etwas überspannter Radicaler, führte in 
einer Druckschrift den Nachweis, daß viele Bauern jetzt im Frieden zwei- 
mal mehr Abgaben zahlten als vordem unter der kriegerischen Fremd-
	        
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